Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
kommen die Ersten, die sie mir aus der Hand nehmen wollen. «Willst du etwa an unserer Seite durch die Straßen ziehen, Claudia?»
Sie lacht hell auf. «Nein, das überlasse ich doch lieber der Jugend! Helena und ich sind gleich bei euch, dann reden wir weiter.»
Nicht auch noch Helena! «Wir sind erfreut.» Stimmt nicht. Wir sind nicht erfreut, zumindest ich bin es nicht im Geringsten. Wird nicht immer behauptet, dass wir Shinanim nicht lügen können? Ich kann es, wenn es sein muss, ziemlich gut.
Und schon wieder sind meine Gedanken bei Luisa, die vielleicht gerade jetzt auf dem Weg zu unseren Feinden ist. Ob sie noch lebt? Haben sie sie schon zu einer der Ihren gemacht? Oder, schlimmer noch, haben sie meinen Geruch an ihr entdeckt und sie kurzerhand als Verräterin getötet? Hätte ich sie besser nicht umarmen sollen? Doch ich musste es tun, ein Mal wenigstens, zum Abschied.
Ich weiß einfach nicht, was in Bezug auf Luisa richtig ist. Am liebsten hätte ich sie mit Gewalt in unsere Wohnung zurückgebracht und in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie überallhin begleitet, jeden Schritt von ihr überwacht, damit ihr nichts passiert.
Stattdessen habe ich mich zurückgehalten und das getan, von dem ich dachte, es sei richtig. Mich so wenig wie möglich in ihr Leben eingemischt. Wir Shinanim wirken im Verborgenen und leben mit den Konsequenzen. O Himmel. Hoffentlich ist ihr nichts passiert!
Und dann sind Claudia und Helena auch schon da, und sie kommen nicht allein. Sie haben ein blondes Mädchen mitgebracht. Chiara heißt sie und soll bei uns einziehen. Ihre Sachen hat sie gleich mitgebracht.
«Wir versuchen natürlich, euch zu unterstützen, Elias.» Claudia streicht ihre dunklen Locken zurück. «Gerade jetzt, wo ihr mächtigere Gegner habt, als je zu erwarten war.»
«Ich werde alle meine Kraft in den Dienst unseres neuen Projektes stellen!», sagt Chiara mit leuchtenden Augen.
«Ich dachte, ich suche meine Mitstreiter selbst aus?», kann ich mir nicht verkneifen zu sagen. In dem Moment flackert die Deckenbeleuchtung, und dann wird es dunkel im Zimmer. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass keiner von uns so ruhig ist, wie er tut. Nicht nur ich, wir sind alle vier von einer schimmernden Aura umgeben.
«Was ist das denn?», will Helena wissen. «Wer hat das Licht ausgeschaltet?»
«Niemand. Die Elektrik ist marode. Gleich geht es wieder.» Ich lächle. «Wenigstens funktioniert die Heizung.»
«Ich werde diese technischen Störungen dem Orden melden!»
Meint sie, ihr Wort hätte mehr Gewicht als meins? Als wenn der Orden in diesem riesigen Haus die Leitungen erneuern würde nur für uns. «Gerne. Tu das.»
Als dann wirklich ein paar Sekunden später die Lampen wieder ganz normal leuchten, streicht Helena über ihren Kostümrock. «Wie dem auch sei», sagt sie. «Der Rat hat Chiara bereits sorgfältig getestet und befragt.»
«Du selbst hättest dich nicht anders entscheiden können», ergänzt Claudia, «glaub mir!»
Offensichtlich habe ich keine andere Wahl, als mich in mein Schicksal zu fügen. Ich setze ein falsches Lächeln auf und sage: «Ich bin dem Rat sehr dankbar für seine Unterstützung, Claudia.»
Nachdem die beiden endlich aufgebrochen sind, zeige ich Chiara alles und heiße sie in unserem Projekt willkommen. Sie kann schließlich nichts dafür. Vielleicht hätte ich wirklich keine Bessere finden können. In Chiaras Augen kann ich die Entschlossenheit lesen, die ich bei den anderen so vermisse. Die gleiche Entschlossenheit, die ich auch bei Luisa gespürt habe. Chiara scheint zu verstehen, worum es bei unserer Aufgabe geht, um Kampf, um Einsatz, nicht darum, kleinen Kindern, die sich verlaufen haben, den Weg nach Hause zu zeigen. Kann Chiara das sein, was Luisa nicht sein darf, weil sie keine von uns ist?
Luisa. Womit wir wieder bei meinem Lieblingsthema wären. Ich wünschte, Luisa wäre zurückgekommen.
Und eine kleine Stimme in meinem Kopf sagt: Was, wenn sie nie mehr zurückkommt? Was machst du, wenn du das nächste Mal gegen die Werwölfe kämpfst, und Luisa ist einer von ihnen?
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31. Luisa
Meine kleine silberfarbene Taschenlampe ist so eisig, dass die Kälte durch meine Handschuhe dringt. Ich folge dem runden Lichtkegel über den holprigen, weißgepuderten Waldboden, denn der Wolkenhimmel blockiert jede Helligkeit. Es schneit wieder. Keine sanften, schwebenden Flocken. Feine, winzig kleine, griesige Schneekörnchen brennen, wo sie mich treffen, wie eisige
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