Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Kleinigkeit, alles, was Nick und seine Kumpels ihr angetan haben, steht in ihrem Notizbuch. Und so lange, bis jeder von Nicks Leuten seine Schuld bezahlt hat, liest sie es jeden Tag, um die Erinnerung wachzuhalten.»
«Und diese Toten im Tegeler Forst und im Tiergarten, das sind die Opfer von Norrocks und Haddrices Rachefeldzug?»
Thursen nickt.
«Die Werwölfe töten Leute, und du musst mitmachen?»
«Ja, Luisa.» Er wirft die Eichel mit Wucht gegen den Stamm einer Kiefer, dass sie zerplatzt. «Ich habe geschworen, auf ihrer Seite zu stehen, was auch geschieht. Jetzt weißt du, warum ich nicht nach Hause kommen konnte. Warum ich vielleicht nie mehr nach Hause komme.»
Das Braun seiner Augen ist nicht länger kalt. Trauer, Schmerz und unendliche Müdigkeit schimmern darin. Ich kann nicht anders. Ich umarme ihn. Atme seinen Geruch und fühle seine Arme um mich. Gestern musste er dabei helfen, einen Menschen zu töten, und er wird es wieder und wieder tun müssen, bis Sjöll und Haddrice gerächt sind. Was für eine unendlich beschissene Situation. Eine Weile stehen wir so da, dann gehen wir zurück ins Lager. Diesmal nimmt er meine Hand und ich seine.
Als wir im Lager ankommen, hat der Schneefall aufgehört, und die Luft ist wieder klar. Das tote Wildschwein, das als Vorrat im Baum hängt, glotzt mich aus leeren Augen an. Das erlegte Reh dagegen ist weg. Flammen knistern, und der Geruch von Grillfleisch erfüllt die Luft. Werwölfe in Menschengestalt sitzen um die alte Lkw-Felge, die das Feuer hält, und braten ihr Fleisch an Spießen. Die Wölfe scharen sich um das Gerippe des Rehs und reißen mit ihren Raubtierzähnen das restliche Fleisch von den Knochen. Ich blicke in die Gesichter rund ums Feuer und weiß: Sie alle waren gestern dabei bei der Jagd auf die Bande von diesem Nick. Auch Janok, der neue Wolf, der sich mit mir zusammen verwandeln sollte. Einer von ihnen hat den Jungen im Tierpark getötet. Oder waren es mehrere?
Ein Schauer überläuft mich. Thursen legt seinen Arm um meine Schultern. «Komm», sagt er leise. «Wärm dich am Feuer und iss mit uns, bevor du gehst.»
Thursen besorgt uns Spieße, und zusammen setzen wir uns auf eine Holzpalette, rücken eng aneinander und halten unsere Fleischstücke wie die anderen über die Glut. Nur an einem Spieß steckt kein Fleisch. Sind das wirklich ein Brötchen und ein Stück Paprika, die das Mädchen da über die Flammen hält?
«Wer ist das denn?», frage ich Thursen leise.
«Meinst du Rieke?» Als sie ihren Namen hört, hebt sie den Kopf und lächelt mich an. Ihre Farben, ihre noch so lebendigen Farben passen nicht in den Kreis der Werwölfe. Als sei sie irgendwo ausgeschnitten und ins falsche Bild geklebt worden. Sie ist noch ganz und gar ein Mensch. Doch wie lange noch?
Es dauert, bis unser Fleisch gar ist. Die knisternde Hitze des Feuers brennt auf meinem Gesicht. Ich wechsele den lumpenumwickelten Griff des Bratspießes von einer Hand in die andere, weil meine Finger von der Hitze schmerzen. Doch mein Körper friert weiter. Auf einmal schiebt sich knurrend ein Wolfskopf zwischen Thursen und mich. «Hör auf, Rawuhn.» Thursen lacht und greift nach der Schnauze des hellen Wolfs, um ihn zurückzuschieben. Doch Rawuhn lässt es nicht zu, stupst mich an, damit ich ihn mit meiner freien Hand zwischen den Ohren kraule.
Endlich ist das Fleisch durch. Das Essen hilft, langsam wird mir auch von innen warm.
Norrock humpelt als schwarzer Wolf näher ans Feuer und leckt seine Wunden. Diese Art Brandwunden heilt wohl nicht so leicht.
Einer nach dem anderen aus der Runde isst auf, verwandelt sich und verschwindet im Wald, bis nur noch Thursen und ich essen und kleine Stücke unseres Fleisches an Rawuhn verfüttern. Dann sind auch wir satt.
«Wo soll ich denn jetzt bloß hin, Thursen?», frage ich, als wir unsere benutzten Spieße säubern. «Nach Hause kann ich nicht, da holt mich mein Vater weg. Elias hat mir angeboten, zurückzukommen, vielleicht sollte ich –»
«Nein.» Thursen steht auf und nimmt mir meinen Spieß aus der Hand. Lehnt ihn zu den anderen an einen Baum.
«Dachte ich mir. Aber, Thursen, ich will nicht bei dir wohnen, wenn du nicht da bist.»
«Red keinen Blödsinn, Mädchen!», unterbricht uns Norrock, auf einmal auf zwei Beinen und Mensch. «Du kannst nicht dauernd hierherkommen und dann einfach so wieder nach Hause gehen. Schon gar nicht, seit diese Engelskerle wissen, wer du bist. Unser Lager muss geheim bleiben.»
«Hör auf,
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