Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
Vom Netzwerk:
Feuerschein glost auf. Jemand muss die Flammen gefüttert haben. Was geht da vor? Thursen ist als Erster aus dem Schlafsack. Schnell krieche ich hinter ihm aus der Höhle.
    Da sind die Wölfe, das ganze Rudel. Schwärze über ihnen, die Nacht hängt noch wie eine Kuppel im Gezweig, doch sie sind alle wach. Stehen um etwas herum, das ich nicht sehen kann. Mauriks, Irudit und Janok bringen brennende Fackeln und halten sie hoch. Niemand spricht. Jemand stöhnt, lang und atemlos. Gab es wieder einen Kampf? War jemand im Lager, während ich geschlafen habe? Ich laufe, schiebe Rawuhn zur Seite, der Thursen verhalten begrüßt, und dränge mich zwischen Zrrie und Irudit hindurch.
    Endlich kann ich sehen, was da liegt. Wer da liegt. Krestor. Ist er verletzt? Aber da ist kein Blut in seinem Fell, nirgends. Trotzdem liegt er auf dem Bauch, die Hinterbeine unter den Körper gezogen, und kommt nicht mehr hoch. Japst mit halbgeöffnetem Maul. Erstickt er? Die anderen halten Abstand. Warum hilft keiner? Thursen tritt hinter mich, legt seine Arme um mich, hält mich zurück. Lurnak, Krestors alter Wolfsfreund, legt sich neben Krestor. Stupst ihn mit der Schnauze an. Langsam dreht Krestor den Kopf, aber ich weiß nicht, ob er Lurnak wirklich erkennt.
    Norrock kommt angestapft. Rasch wechselt er einen Blick mit Thursen und nimmt dann Janok die Fackel ab. «Hier, halt du die mal, Luisa», sagt er und drückt sie mir in die Hand. «Janok, geh Wasser holen. Aber schnell!»
    Thursen hockt sich hin und legt seine Hand auf Krestors Kopf. Norrock kniet neben Krestor, streicht ihm über das Fell und flüstert etwas, das ich nicht verstehe. Obwohl Janok sofort losstürmt, sind Krestors mühsame Atemzüge vorbei, noch ehe er mit dem Wasser zurückkommt. Ein letztes Zittern überläuft Krestors Fell wie ein Kälteschauer. Seine Augen stehen immer noch halb offen, als er zur Seite kippt.
    Und dann passiert etwas, bei dem ich schreien möchte. Sein Pelz verschwindet wie dicker, dunkler Nebel, der ins Nichts zerfließt. Aus seinem toten Körper, der sich vor unseren Augen streckt, wachsen bleiche, nackte Menschenbeine in hawaiibunten Sommershorts. T-Shirt-Arme mit langfingrigen Händen schieben sich aus den Vorderläufen. Statt eines Wolfes liegt dort ein hagerer, grauhaariger, toter Mann. Das Licht flackert, weil meine Hand mit der Fackel zittert. Der Tote starrt ins Leere, als könnte er ebenso wenig begreifen wie ich, was da eben passiert ist, bis Norrock ihm die Augen schließt.
    Thursen ist wieder bei mir und legt mir den Arm um die Schulter. «Es war Sommer, als er das letzte Mal Mensch war», sagt er leise, noch heiserer als sonst.
    «Was ist passiert?», keucht Janok, gerade zurück, den Becher Wasser sinnlos in der Hand. «Ist das Krestor?» Entsetzt starrt er auf den Männerkörper. «Wieso ist er denn einfach gestorben? Ich hatte keine Ahnung, dass er so alt war!»
    «War er nicht», sagt Haddrice. «Oder, Norrock?»
    «Nein, war er nicht», antwortet Thursen.
    Mit monotoner Stimme, als würde sie ein Mantra zitieren, fährt Haddrice fort: «Es ist die Nähe zum Totenreich, die uns die Kraft gibt. Aber sie nimmt uns auch etwas von unserer Lebenszeit.»
    «Blödsinn», sagt Zrrie. «Wir verwandeln uns in Wölfe. Die leben halt kürzer.» Und als alle sie ansehen, fragt sie: «Hast du doch gesagt, Thursen, oder?»
    «Na dann, wenn Thursen das meint», sagt Haddrice, die Eisschärfe ist in ihre Stimme zurückgekehrt, und wirft erst Thursen, dann Norrock einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.
    «Es ist mir scheißegal, woran das liegt!», schreit Janok, wirft den Becher zu Boden, dass das Wasser ihm über die Füße schwappt. «Ich will nicht früh sterben! Ich wollte kämpfen! Stark sein! Endlich keine Langeweile mehr. Richtig leben, versteht ihr? Ich will nicht plötzlich sterben!»
    «Aber gegen die Kraft der Werwölfe hattest du nichts, oder?», knurrt Haddrice ihn an. «Unbesiegbar wolltest du sein!»
    Janok starrt Krestor an. «Ich wusste nichts davon. Niemand hat mir etwas gesagt!»
    «Doch», unterbricht ihn Haddrice. «Du wusstest es! Du wusstest alles. Norrock hat es dir gesagt, wetten?»
    Janok sieht Norrock hilfesuchend an. Doch Norrock bleibt stumm. Und mit einem Mal fällt Janok in sich zusammen. Seine Schultern sacken nach vorne. Eine Mischung aus Wut und Panik überzieht sein Gesicht. «Ich mach das nicht mit! Ich will nicht mehr!»
    «Zu spät», sagt Haddrice. «Wohin willst du denn? Du kennst doch nicht einmal mehr

Weitere Kostenlose Bücher