Schattenblüte. Die Erwählten
Riechst du das etwa?»
Muss ich darauf antworten? Wenn ich mir sein entsetztes Gesicht vorstelle, lieber nicht. «Siehst du, da kommen sie! Zrrie hat unterwegs jemanden gefunden, sagt Norrock.»
Zrrie ist schwarze Wölfin und trabt voraus, schnuppert und sichert den Weg ab. Dahinter folgen Glowen und Polmeriak, beide Mensch. Sie schleppen jemand Fremdes zwischen sich ins Lager. Ein junger Mann mit strohblondem, struppigem Haar, der seine Arme rechts und links über ihre Schultern gelegt hat und mühsam einen Fuß vor den anderen setzt. Auf den ersten Blick sieht es aus, als kämen sie von einer Party und würden einen betrunkenen Freund nach Hause bringen.
«Wer ist das?», fragt Edgar und läuft auf den Neuankömmling zu, der sofort in sich zusammensackt, als die Geschwister ihn loslassen. Edgar kniet schon neben ihm und stützt ihn.
«Zrrie hat uns zu ihm geführt», sagt Glowen. «Er saß in einem Auto mit laufendem Motor.»
«Wollte er wegfahren?»
Zrrie ist auf einmal wieder das Mädchen. «Sei nicht so naiv, Edgar. Er hatte eine leere Tablettenschachtel neben sich auf dem Beifahrersitz.»
«Gruselig war das», murmelt Polmeriak. «Das ganze Auto war von Krähen bedeckt. Wir mussten sie erst mal aufscheuchen, um in das Innere zu gucken.»
Krähen. Wieder die Krähen. Das Tor ist nicht mehr geschlossen, und die entkommenen Geister, die Träume und Gedanken an die Toten, fordern ihren Tribut. Was mag der Junge geträumt haben, das ihn getrieben hat, sein Leben zu beenden?
Doch er ist nicht tot. Irudit bringt ihm Wasser, das er folgsam trinkt.
«Wieso wolltest du sterben?», fragt Edgar. Einer der wenigen hier im Lager, die diese Frage nicht selbst beantworten könnten.
«Ich wollte nicht sterben», murmelt der Junge. «Ich wollte nur nicht mehr leben.» Er seufzt. «Warum habt ihr mich nicht in Ruhe gelassen? Dann wäre es endlich vorbei. Mein Gott, ich kann diese Bilder in meinem Kopf nicht mehr ertragen.»
«Das musst du nicht», sagt Zrrie.
«Und wie soll das gehen?», fragt er. Seine Stimme ist kaum hörbar.
Sie klopft ihm auf die Schulter. «Du wirst dich wundern.»
Edgar springt auf. «Du willst ihn verwandeln? Das kannst du nicht machen! Zrrie, das geht nicht!»
Zrrie schubst Edgar mit beiden Händen rückwärts, weg von dem Neuen. «Ich glaube nicht, dass du das beurteilen kannst, Edgar. Das genau machen wir hier nämlich ziemlich oft, weißt du? Meinst du, ich würde noch leben, wenn Norrock mich nicht verwandelt hätte?»
«Norrock hat dich verwandelt? Deshalb? Norrock?»
«Und Norrock würde auch nicht mehr leben, wenn Thursen ihn nicht rechtzeitig gefunden hätte.»
Edgar fährt sich mit den Händen über das Gesicht. «Aber ihr seid Monster. Eigentlich seid ihr doch dämonische Monster.»
«Du weißt, was wir wirklich sind. Du bist ja schon ein bisschen bei uns, oder?»
Der Junge hat Mauriks’ helfende Hand abgeschüttelt. Sitzt da, an einem Baumstamm gelehnt, und guckt ins Leere. «Er wird erfrieren, wenn er sich nicht bewegt», sagt Edgar.
«Ich glaube, das ist ihm egal.»
Krähen kommen, doch sie werden wieder aufgescheucht, als Norrock und Thursen das Lager betreten. Ich glaube, der Neue bekommt nicht einmal mit, dass Norrock als Wolf ins Lager kommt und erst, als er die Mitte erreicht hat, zum Mensch wird, um mit uns zu sprechen.
«Hört mal», sagt er und wirft einen Blick zu Thursen, der neben ihm steht. «Thursen hat mit Elias geredet. Elias hat uns geraten zu fliehen, so weit und so schnell wir können.»
«Und?», fragt Mauriks.
«Und? Jetzt setzt ihr euch alle in Bewegung, klar? Und zwar schnell!»
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50. Elias
WIR weiten die Suche nach den Werwölfen aus. Shinanim arbeiten mit der Polizei zusammen, die Fahndungsplakate mit Thursens Phantombild in der Stadt aufhängen. Außerdem findet man sie überall im Internet. Ich habe so ein Plakat gesehen. Dort wird Lars Lund wegen Landesverrats gesucht. Thursen, der Terrorist, in den Augen der Shinanim passt das. Was man ihm vorwirft, ist ja für die Shinanim letztendlich egal, er soll nur gefunden werden, ob er verurteilt wird, ist uninteressant. Wer aus meiner WG wohl die Angaben für das Phantombild geliefert hat? In Wirklichkeit sieht er nicht halb so finster und bedrohlich aus. Wenigstens suchen sie Luisa offiziell nur als Zeugin. Das Foto wurde in der Feste gemacht, als sie noch Werwölfin war.
Eine Gruppe Shinanim-Spezialisten, die normalerweise Katastrophenopfer suchen, wurde extra
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