Schattenblüte. Die Erwählten
ausliefern? Niemals, ihr Höllenbrut! Eher sterben wir!», ruft die Frau und kämpft sich mit einem Ruck aus Irudits Umklammerung frei. Irudit hat sie noch an ihrer Kleidung gepackt, da legt die Shinan in einer blitzschnellen fließenden Bewegung die Hände zusammen und lässt eine Flamme entstehen. Unterarmlang ist der Feuerstreif, der wie ein glühendes Schwert durch die Luft zischt, herab auf Irudit. In dem Moment, in dem Irudit fällt und die Shinan sich Mauriks zuwenden will, um auch ihn mit ihrem Feuerschwert zu treffen, kracht es entsetzlich. Ein kleiner roter Fleck wächst auf ihrer Brust. Thursen hat der Shinan durch die Brust geschossen. Sie fällt neben der toten Irudit zu Boden. Der Grillgeruch von Irudits verbrannter Haut gemischt mit dem scharfen Geruch nach Silvesterböller lässt mich würgen.
«Irudit», krächzt Mauriks. Der Shinan, den Mauriks umklammert hält, nutzt den Moment und befreit sich mit einem Ruck aus Mauriks’ Griff. Mit flackernden Händen macht er einen Schritt auf Thursen zu.
«Das war ernst gemeint», sagt Thursen, die Waffe schon wieder an Elias’ Schläfe. Ganz ruhig sagt er es. Todernst. Ich habe bisher noch nie jemanden töten sehen. Und jetzt hat nicht nur die Shinan-Frau, jetzt hat auch Thursen vor meinen Augen ein Leben beendet. Das Schlimmste ist: Ich kann ihn verstehen. Es geht um das Leben der Werwölfe. Wir sitzen in der Falle. Wir sterben oder die Shinanim. In was für eine Welt sind wir nur geraten?
«Genug», befiehlt Elias. «Bitte, Jordan, es wurde schon genug getötet.»
«Der Nächste wärst du gewesen», sagt Thursen zu Elias.
Elias dreht den Kopf, obwohl die Waffe auf seine Stirn zeigt. Sieht Thursen an. «Wieso bist du nur hergekommen, Thursen?»
«Wo ist Vittorio?», fragt Thursen. «Bring mich zu ihm. Zwing mich nicht zu schießen, Elias.»
Elias schweigt, als würde er abwägen, wie viel sein Leben wert ist. Dann sagt er: «Nimm deine Wölfe und verschwinde von hier, Thursen, schnell!»
«Wenn du ihn erschießt, wie viel Schuss hast du dann noch, Thursen?», fragt Mauriks.
Thursen antwortet nicht. Er sieht Elias in die Augen und scheint dort eine Botschaft zu finden, die ich nicht verstehe. Dann, als habe er das Rätsel gelöst, nickt Thursen. «Wir gehen, aber wir nehmen dich mit, Elias. Ab jetzt bist du unsere Lebensversicherung.» Er spricht lauter, damit der Mann, den Elias Jordan genannt hat, und die Frau, die Glowen festhält, ihn auch hört. «Wenn deine Leute uns verfolgen oder angreifen, töten wir dich, ohne zu zögern.»
Thursen lässt Elias vor sich in den Gang hinaustreten. Wir folgen ihnen, vorbei an Irudit und der toten Shinan. Jordan und die Frau lassen wir bei den Toten zurück.
Die Shinanim in den Gängen erstarren, als sie Thursen sehen, der Elias die Pistole an den Kopf hält. Niemand muss ihnen erklären, was das bedeutet. Keiner von ihnen wagt, irgendeine Bewegung zu machen, die wir als Angriff deuten könnten. Ohne ein Wort von uns lassen sie den Wolf frei, den sie mit Silberlanzen in eine Ecke gedrängt hatten. Ich atme auf. Rawuhn lebt.
Seddram lehnt mit verzerrtem Gesicht an der Wand und hält sich die verbrannte Schulter. Als wir bei ihm sind, schließt er sich uns an. Auch ihn hält niemand auf. Unbehelligt von den Shinanim steigen wir eine Treppe hinab, weiter, den Flur entlang. Offenbar hat sich herumgesprochen, dass wir eine Geisel haben. Vielleicht auch, dass Thursen es ernst meint und bereits eine Shinan erschossen hat. Zwischen den Wänden hängt eine fast unwirkliche Stille. Kein Laut.
Doch. Doch ein Geräusch. Jemand wimmert, ganz leise. Da liegt eine der Shinanim auf dem Boden. Niemand ist bei ihr, der ihr helfen würde.
«Chiara?», fragt Elias, das Entsetzen in seiner Stimme.
Ist das da mit dem blutverschmierten Gesicht wirklich Chiara? Chiara, die auch in der Wohngemeinschaft lebte?
Auf einmal schießt von hinten ein Wolf heran. Schlägt gierig seine Zähne in Chiaras Unterschenkel, dass das Blut auf den Marmorboden tropft. Die Shinan stöhnt auf, jammert, windet sich, aber ist zu schwach, um sich zu wehren.
«Seddram!», knurrt Thursen und versetzt dem Wolf einen Tritt. Der wird Mensch, richtet sich auf. «Entschuldigung, das war wohl der Geruch», murmelt er und wischt sich mit dem Handrücken Chiaras Blut aus den Mundwinkeln.
«Ihr fresst Menschen? Was seid ihr nur für Bestien!», stößt Elias hervor.
«Weiter!», befiehlt Thursen und zwingt Elias an Chiara vorbei. «Und Mauriks, sieh zu, dass
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