Schattenblüte. Die Erwählten
stehen, drängen uns zusammen. Irudits Augen sind genauso angstgeweitet wie meine.
Auf einmal ist Thursen an der Spitze. «Weiter!», brüllt er. «Ihr habt die Kraft, die durch das Tor zu euch dringt! Macht uns den Weg frei!»
Alle, die eben noch Menschengestalt hatten, tragen jetzt Fell. Wilde, wütende Wölfe werfen sich den Engelskriegern entgegen. Bisse, Knurren. Einer der Shinanim reißt im Fallen einen Leuchter von der Wand. Ich versuche, auszuweichen, drücke mich mit dem Rücken an die Mauer. Nein, ich kann nicht kämpfen, aber Thursen kann es. Seine Tritte schicken einen der Shinanim zu Boden. Ich brauche irgendetwas als Waffe! Als ich mich hastig bücke, um den abgebrochenen Wandleuchter aufzuheben, ist es auf einmal vorbei. Schnell wie sie gekommen sind, verschwinden die Angreifer wieder. Die Luft im Gang riecht nach verbranntem Fleisch. Verletzte Wölfe jaulen. Ich suche Thursens Blick und finde fast so etwas wie ein Lächeln. Grimmig. Die Shinanim sind weg, doch sie werden wiederkommen. Wir haben vielleicht noch ein paar Minuten.
Die von uns, die können, laufen weiter. Um eine Biegung und den nächsten Gang entlang.
Da steht jemand, eine einzelne Shinan, vor einer Tür. Ist das Vittorios Zimmer, das sie bewacht? Da ist ein Geräusch, wie Regentropfen auf einem Glasdach klingt es. Eine Art leises Trommeln. Was ist das? Ich zögere, doch Thursen zieht mich mit sich. «Schnell», sagt er. «Sie kommen. Hörst du die Schritte nicht?»
Schritte? Das Regentropfentrommeln sind Schritte? So viele?
Die anderen scheinen es ebenfalls zu hören, denn sie werden schneller. Die Wächterin vor der Tür starrt uns an, höchstens halbherzig kampfbereit. Das goldgerahmte Bild des Engels mit dem Drachen, nehme ich kaum wahr, denn Irudit rennt an Thursen vorbei auf die Shinan zu, drückt ohne zu stoppen deren Kopf mit der ausgestreckten Hand so heftig nach hinten, dass der Kopf neben dem Bilderrahmen gegen die Wand knallt. Die Shinan verdreht die Augen und sackt ohnmächtig im Gang zusammen.
Mauriks versucht, die Tür zu öffnen. Verriegelt, natürlich. Kein Schloss. Neben der schweren Holztür ist ein Sensorfeld. Sollen wir die Hand der ohnmächtigen Shinan …?
Doch Glowen und Mauriks nicken sich zu, nehmen zwei Schritte Anlauf und werfen sich gleichzeitig mit den Schultern gegen das Türblatt. Da bricht die Tür krachend auf. Holzsplitter ragen aus dem Rahmen, wo die Verriegelung saß.
Drei Shinanim sind in dem Zimmer. Sind da noch mehr? Kann sich irgendwo jemand verstecken? Mein Blick schweift durch den Raum: ein Schreibtisch, Stühle, Computer, noch mehr Bilder, ein weißer Wandbehang mit gesticktem Symbol, ein Fenster. Nichts, wohinter die Shinanim Waffen oder Wächter verbergen könnten.
Mauriks packt den Mann am Computer, Glowen die dunkelhaarige Frau, die vor dem Wandbehang steht. Ich renne zur Tür, schlage sie zu und lehne mich von innen dagegen. Wir sind sicher. Zumindest für eine winzige Weile. Mein Blick sucht Thursens. Doch der steht vor dem dritten Mann und zielt ihm mit einer Pistole mitten ins Gesicht. Woher hat er eine Pistole?
«Ich bin Thursen», sagt er. «Ihr habt sicher von mir gehört.»
Der Mann wendet den Blick nicht von der Pistolenmündung und nickt. «Gut. Wo ist Vittorio?» Thursens Stimme ist ganz leise und so kalt, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Schießt er jetzt?
Der Mann wendet den Blick von der Pistole zu Thursen. «Vittorio ist nicht hier.»
«Wo ist er dann?», brüllt Thursen. Verliert für einen winzigen Moment die Nerven. Ich weiß, Thursen wird dieses verdammte Gebäude Raum für Raum durchsuchen, bis wir Vittorio gefunden haben. Oder bis die Shinanim uns töten.
Zu spät. Die Shinanim haben uns schon. Die Tür hinter mir fliegt auf, ich werde zu Boden geschleudert. Zwei von ihnen stehen im Raum. Irudit stürzt sich auf die Frau im Kostüm und packt sie. Ich rapple mich hoch und starre den großen blonden Mann an, starre genau in Elias’ eisblaue Augen. Eben noch die Hand zum Angriff erhoben, nimmt ihn mein Blick genauso gefangen wie mich seiner. Einen Augenblick scheint es, als wenn die Zeit um uns einfriert. Schmerz, Enttäuschung liegen in seinem Blick, und noch etwas. Doch bevor ich herausfinden kann, was es ist, zerspringt unsere Zeitblase.
Thursen dreht sich in einer schnellen Bewegung und legt die Waffe an Elias’ Schläfe. «Sag ihnen, es endet hier. Gib uns Vittorio, oder du stirbst!», raunt Thursen, mein Thursen, Elias zu.
«Euch Vittorio
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