Schattenblüte. Die Erwählten

geschossen hat? Elias hat Haddrice erschossen? Mitten in die Menge gefeuert? Es muss wohl so sein. Elias hat seinen verdorbenen Bruder gerächt.
    Warum, Elias?
    Ich will stehen bleiben, doch Thursen zieht mich weiter. Wir haben den Zaun erreicht, klettern hinüber und laufen durch den Wald davon, ohne uns noch einmal umzusehen.

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    41. Elias
    «NICK!» , höre ich mich schreien, als Haddrice zum Wolf wird, meinen Bruder anspringt und ihre Fangzähne in sein Fleisch rammt. Felicity ist direkt hinter mir, hat auf einmal ein Gewehr, und sie schießt, tatsächlich, sie schießt von hier aus! Sie trifft sogar, doch viel zu spät! Haddrice hat Nick bereits die Kehle zerfetzt, ehe sie von den Geschossen getroffen wird. Sie heult auf, und Nicks Hände greifen ins Nichts. Blut ergießt sich in einem Schwall über seine Brust. Felicity schießt immer noch. Haddrice ist längst reglos. Knall auf Knall lassen die Geschosse Haddrices gekrümmten Körper vom Boden hochzucken. Wütend reiße ich Felicity das Gewehr aus der Hand. Da sind doch Shinanim auf der Bühne, im Kampf! Was für ein Irrsinn, mitten in die Menge zu feuern.
    Und warum, zur Hölle, warum war denn niemand bei Nick? Warum war er ungeschützt?
    Ich schubse und kämpfe mir meinen Weg frei durch die Menge der Shinanim. Benutze meine Ellenbogen rücksichtslos und bin am Bühnenrand. Springe hinauf. Meine Schritte hallen auf dem Holzboden. Die Mörderwölfin verschwimmt vor meinen Augen, und dann liegt dort auf den rotverschmierten Bohlen ein totes Mädchen. Wir haben auf einen Wolf geschossen und damit einen Menschen getötet.
    «Weg hier!», höre ich Thursen schreien.
    Ich werfe Vittorio das Gewehr vor die Füße. Ich bin bei Nick, doch er ist tot. Tot. Vornübergeneigt hängt er in seinen Fesseln. Sein glanzloser Blick geht ins Leere. Auf seinen Lippen ist blutiger Schaum und darunter am Hals eine klaffende Wunde. Ich umarme ihn, drücke ihn an mich, halte ihn, als könnte ich mich jetzt noch mit ihm versöhnen, doch es ist zu spät. Sein Herz schlägt nicht mehr. Wir werden nie mehr miteinander reden. Keiner kann dem anderen mehr verzeihen. Nichts mehr. Nie mehr.
    Wir haben meinen Bruder benutzt, wie man ein Stück Käse in der Mausefalle benutzt. Wir haben ihn den Werwölfen zum Fraß vorgeworfen, damit sie hierherkommen. Wir haben in Kauf genommen, dass die Gejagten den Köder fressen und trotzdem entkommen.
    Ich nehme Haddrice das Messer aus den blutigen, toten Händen, schneide meinen Bruder los und lasse ihn sanft auf den Boden gleiten.
    Die letzten Werwölfe entkommen gerade. Warum jagen die Shinanim sie nicht? Warum kommen die Zuschauer nicht die Treppen herabgeeilt und setzen ihnen nach? Sinnlos war es auch noch! «Warum ist mein Bruder tot? Er konnte sich nicht verteidigen. Warum war niemand bei ihm, um ihn zu schützen? Wie konnte das geschehen, Vittorio?», brülle ich dem Höchsten des Ordens ins Gesicht.
    «Elias, es tut mir leid.» Er legt mir seine Hand auf die Schulter, die ich erbost wegstoße.
    «Seit wann opfern wir Shinanim für unsere Ziele Menschen?»
    «Die Werwölfe wären misstrauisch geworden, hätten wir zu viele an der Seite unseres Gefangenen postiert.»
    «Und da nehmen wir in Kauf, dass er getötet wird? Gehen wir jetzt über Leichen, Vittorio?»
    «Manche Ziele sind eben groß und verlangen daher auch große Opfer.»
    «Tote? Wie weit geht Ihr? Müssen wir demnächst Menschen nicht nur beschützen, sondern auch töten, wenn Ihr es uns befehlt?»
    «Es wäre besser, du würdest dich erst einmal beruhigen.»
    Beruhigen! «Und jetzt? Verfolgt Ihr sie nicht? Was soll jetzt geschehen?»
    «Wir werden die Werwölfe jagen, Elias. Jeden einzelnen von ihnen, bis wir sie alle haben. Hubschrauber stehen bereit und jede denkbare Technik. Wir verfolgen sie, doch wir werden nicht Hals über Kopf losstürmen.»
    «Und mein Bruder?»
    «Er wird gerächt werden.»
    «Das meine ich nicht. Ich meine: Was geschieht jetzt mit meinem toten Bruder? Wir können ihn doch nicht hier liegen lassen.»
    «Dafür wird gesorgt. Wir kümmern uns um alles.»
    «Dann will ich bei der Verfolgung der Werwölfe dabei sein!»
    «Willst du nicht lieber bei deinem Bruder bleiben?»
    «Die Werwölfe haben Edgar! Er ist ihre Geisel. Jetzt, wo Felicity Haddrice erschossen hat, was meint Ihr, was sie da mit ihm machen werden?»
    Ein Hubschrauber kreist über uns. «Da ist schon der erste Suchtrupp. Wir haben die neueste Technik, wir kriegen sie. Lass uns