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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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nickt bedächtig, und ich weiß, dass sie mich versteht. «Und du, Rieke, musst du auch mit?»
    Rieke schüttelt den Kopf. «Ich bleibe hier und kümmere mich um Norrock. Aber eins müsst ihr mir versprechen: Wenn ihr könnt, dann spuckt Nick mit schönen Grüßen von mir ins Gesicht, okay?»
    «Dann lasst uns gehen.» Haddrice sieht mich und Thursen an und ruft über die Schulter: «Seid ein bisschen langsamer, meine Wölfe, wir haben Menschen dabei.»
    Wir laufen los. Haddrice kraust die Nase und sucht die Spur, doch es ist Mauriks, der schließlich voranläuft. Woher weiß er den Weg? Rhythmisch bewege ich die Füße, versuche, das Tempo der Wölfe mitzuhalten. Einatmen und aus. Rennen hält auch die innere Unruhe in Schach. Diesmal kommen das Zittern und die Unruhe nicht nur von der Rückverwandlung. Wird Nick tatsächlich da sein, oder lügen sie uns an? Elias hat mir mal gesagt, Shinanim sei es fast unmöglich zu lügen. Hoffen wir darauf. Zrries Warnung geht mir nicht aus dem Kopf. Wollen die Shinanim wirklich Frieden schließen, und wenn nicht, was wollen sie dann von uns Wölfen?
    Es ist dunkel, als wir ankommen. Die Shinanim, jedenfalls nehme ich an, dass es die Shinanim waren, haben das Bühnentor für uns geöffnet, das vom Wald aus direkt in den Bereich hinter der Bühne führt. Wir wittern, die Wölfe haben den Geruch der Engelsmenschen sofort in der Nase. Für mich, und wohl auch für Thursen, ist er nur ganz schwach wahrzunehmen.
    Die Werwölfe – sofern sie es noch können – nehmen aus Rücksicht auf die Shinanim menschliche Gestalt an. Dann durchschreiten wir alle zusammen das schmale Tor. Wir befinden uns am Fuß der Murellenschlucht. Die Wände, an denen die Zuschauertribünen aufsteigen, liegen im Dunkel. Nur auf der Bühne, direkt vor uns, leuchtet eine schwache Lampe. Im Lichtkegel stehen vier Männer und Frauen. «Seht ihr? Da sind sie ja, die Shinanim», knurrt Haddrice leise.
    Als wir näher kommen, drehen sich die vier zu uns um und geben den Blick frei auf einen der Pfeiler, die das Segeltuchdach tragen.
    Und da ist er.
    «Scheiße!», sagt Haddrice. «Sie haben tatsächlich Wort gehalten.»

    Nick sieht aus, als würde er sich im blassen Scheinwerferlicht an einen der Dachträger lehnen. Cool. Unbeteiligt. Er dreht nicht mal den Kopf zu uns. Ich fühle mein Herz hämmern, meine Brust ist zu eng. Gleich bemerkt er uns, sieht mich an, kommt zu mir. Gleich greift er mich, mit einem Griff wie Eisenklammern, und lacht mir ins Gesicht. Gleich bin ich wieder ganz allein, und er kommt mit viel zu vielen, und ich bin ihm wieder ausgeliefert.
    «Ganz ruhig!», raunt Thursen und legt mir seine Hand beruhigend auf den Rücken. Als ich trotzdem zu zittern beginne, drückt er meine Schulter und gibt mir die Kraft, in mein Selbst zurückzufinden. «Sieh hin, er ist gefesselt», flüstert Thursen. Ja, da sind tatsächlich Fesseln. Ein kräftiges Seil läuft um seinen Körper und bindet ihn an den Pfeiler. Er sieht zu uns herüber, und an seinem Blinzeln merke ich, dass er uns nicht erkennen kann. Das Licht blendet ihn, und wir stehen im Dunkeln. Er versucht, sich weiter zu uns zu drehen, doch seine Schultern werden vom Seil an den Pfeiler gedrückt. «Niemand wird ihn frei lassen», sagt Thursen. «Es gibt kein Abkommen zwischen den Werwölfen und den Shinanim, wenn er nicht für seine Taten bezahlt.» Ich weiß, dass er recht hat. Haddrice wird dafür sorgen.
    «Luisa?» Haddrice greift nach meinem Arm. «Gehen wir als Erste? Das haben wir uns verdient.» Ich wollte Nick sehen, ihm in die Augen blicken, dafür bin ich hergekommen. Ich berühre Thursen am Arm und mache mich auf den Weg. Meine Wut und mein Kampfgeist kehren zurück. Es ist an der Zeit, den Albträumen ein Ende zu machen. Nick war es, der sich einfach das Recht genommen hat, über unsere Würde und unseren Schmerz zu entscheiden. Haddrice und ich sehen uns an und wissen: Es wird Zeit, dass wir wieder selbst über uns entscheiden. Sie geht zuerst die kleine Treppe hinauf, und mit ein paar schnellen Schritten folge ich ihr auf die Holzbretter der Bühne.
    Haddrice wirft Nick einen Blick zu und versucht dann offenbar, herauszufinden, mit welchem der Shinanim wir über den Frieden sprechen können. Ich gehe zu Nick, bin ihm ganz nah. Ich zittere so, dass meine Kiefer aufeinanderschlagen, doch ich halte stand. Thursen ist uns auf die Bühne gefolgt, steht hinter mir und reibt meinen Oberarm, wohl damit ich warm werde. Dabei ist es nicht mehr

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