Schattenblume
wahres Wesen durchschaut.» Er sah weg. «Je den Sonntag in der Kirche konnte ich spüren, wie mir Lane Kandall Löcher in den Rücken starrte, als ob sie wüsste, was an jenem Tag passiert war.»
«Was ist denn passiert, Robert?» Jeffrey wartete, doch er bekam keine Antwort. «Sag mir, was passiert ist», wiederholte er. «Ich habe dich nie gefragt, weil ich an deine Unschuld geglaubt habe. Wenn du jetzt sagst, du wärst schuldig, dann musst du mir erzählen, was passiert ist.»
Robert räusperte sich ein paar Mal, dann griff er mit beiden Händen nach dem Glas Wasser, das auf dem Schreibtisch stand. Er trank einen Schluck und zuckte vor Schmerz, als sein Adamsapfel hüpfte. Jeffrey sah die blauen Flecken an seinem Hals. Jemand hatte versucht, ihn zu erwürgen. Oder hatten sie ihm die Kehle zugedrückt, um ihn am Schreien zu hindern?
«Robert», flüsterte Jeffrey heiser. «Sag mir, was passiert ist.»
Er schüttelte den Kopf. «Geh nach Hause, Slick.»
«Ich lasse dich nicht hier.»
«Geh zurück nach Grant County und heirate Sara. Gründe eine Familie. Werde glücklich.»
«Das werde ich nicht tun, Robert. Ich werde dich nicht ein zweites Mal allein lassen.»
«Du hast mich beim ersten Mal nicht allein gelassen»,sagte Robert. Wut flammte in seinen Augen auf. «Hör zu, ich hab sie vergewaltigt. Genau das werde ich aussagen: Ich hab sie mit in die Höhle genommen und sie vergewaltigt, und als sie geschrien und gedroht hat, sie würde es allen erzählen, bekam ich Angst, genau wie ich neulich abends Angst bekam. Ich hab einen Stein genommen und ihn mit voller Kraft auf ihren Schädel geschlagen.» Er sah Jeffrey tief in die Augen. «Reicht dir das?»
«Auf welcher Seite?», fragte Jeffrey. «Auf welcher Seite hast du ihr den Schädel eingeschlagen?»
«Gott, keine Ahnung. Schau dir ihren verdammten Schädel an. Die Seite, die kaputt ist.»
«Du hast sie nicht umgebracht», sagte Jeffrey. «Sie ist erwürgt worden, nicht erschlagen.»
«Oh.» Robert konnte seine Überraschung nicht verbergen, doch er fand die Fassung schnell wieder. «Stimmt, ich hab sie auch erwürgt.»
«Das hast du nicht.»
«Doch», beharrte er. «Ich habe sie einfach erwürgt», sagte er. Die Handschellen klirrten, als er die Hände um einen imaginären Hals legte.
«Das hast du nicht», widersprach Jeffrey.
Robert ließ die Hände sinken, doch er gab noch nicht auf.
«Zuerst hab ich nur mit ihr geredet, hab versucht, nett zu sein», sagte er. Seine Stimme wurde leiser. Er starrte ins Leere, als wäre er in Gedanken weit weg. Er sprach so leise, dass Jeffrey sich anstrengen musste, ihn zu verstehen. «Als sie den Kopf wegdrehte, hab ich ihr auf den Kopf geschlagen, und als sie hinfiel, hab ich mich auf ihren Rücken gesetzt. Sie hat geschrien, und ich hab sie gewürgt, damit sie aufhört.» Wieder zeigte er mit den Händen, waser getan hatte. «Aber sie hat einfach nicht aufgehört, und das Geschrei hat mich wütend gemacht, und irgendwie hat es mich auch scharf gemacht – ich weiß auch nicht. Ich hatte eine Hand auf ihrem Hinterkopf.» Er ließ die Hand sinken, als wäre er dort. «Ich wusste, dass sie Angst hatte – Todesangst. Ich hatte auch Angst. Ich dachte, wenn jetzt jemand kommt, mich so sieht, wie ein Tier … Aber ich konnte nicht aufhören. Keiner hat mir geholfen. Meine Kehle …» Er legte sich die Hände an den Hals. «Meine Kehle hat sich angefühlt, als hätte ich eine Hand voll Nägel verschluckt. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich konnte keinen Mucks mehr machen, nur noch wimmern, aber in meinem Kopf hörte ich, wie sie lachten, mich anstachelten, als wäre es eine Art Spiel für sie – als wollten sie sehen, wie lange es dauert, bis ich zusammenbreche.» Er ließ die Hände in den Schoß fallen, sein Atem ging schnell und stoßweise. Jeffrey wusste nicht mehr, ob er von Julia sprach oder von dem, was ihm letzte Nacht passiert war. «Ich wollte nur weg, an einen sicheren Ort, wo alles gut war, aber es war alles so schrecklich, ich konnte nichts tun, außer mir auf die Zunge zu beißen und zu Gott zu beten, dass es bald vorbei war.» Seine Lippen zitterten, aber er weinte nicht.
«Robert», sagte Jeffrey und streckte die Hand nach ihm aus.
Robert zuckte zurück, als hätte Jeffrey ihn geohrfeigt. Er machte sich ganz klein. «Lass mich», flüsterte er. «Bitte fass mich nicht an.»
«Robert», wiederholte Jeffrey. Er versuchte, seine Stimme fest klingen zu lassen. Hätte er eine Waffe bei sich
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