Schattenblume
bewährt hätte.» Er hielt inne, rang um Fassung. «Ich hatte eine Frau. Ich hatte eine Familie. Verdammt, ich war Trainer bei der Little League. Wusstest du das? Wir haben es letztes Jahr bis zu den Junior-Meisterschaften geschafft. Wir hätten fast gewonnen, aber einer der Thompson-Jungs hat einen Rückpass versiebt.» Er lächelte bei der Erinnerung. «Wusstest du das? Wir haben es bis ins große Stadion in Birmingham geschafft.»
Jeffrey schüttelte den Kopf. Mit diesem Mann war er aufgewachsen, er hatte jeden Tag seiner Jugend mit ihm verbracht, doch von seinem Leben als Erwachsener wusste er nichts.
«Man weiß eben nie, was die Leute von einem halten, oder?», sagte Robert. «Du gehst zu ihren Spielen und Picknicks, siehst ihre Kinder heranwachsen, hörst von Scheidungen und Affären, doch das alles ist einen Scheißdreck wert. Sie lachen dir ins Gesicht, während sie dir von hinten den Dolch in den Rücken rammen.»
«Du hättest Hoss gestern Nacht anrufen sollen», sagte Jeffrey. «Er wäre runtergekommen und hätte alles geklärt.»
«Dann wäre es beim nächsten Mal nur noch schlimmer gewesen.»
«Schlimmer?», fragte Jeffrey. «Was kann schlimmer sein, als dass sie dir die Seele aus dem Leib prügeln?» Doch dann fielen ihm selbst Antworten auf seine Frage ein. Mit weichen Knien ließ er sich neben Robert in den Stuhl sinken. «Sie haben dich doch nicht …»
Mit erloschener Stimme wehrte Robert ab. «Nein.»
Jeffrey legte sich die Hand auf den Bauch, ihm war speiübel. «Himmel …», flüsterte er.
Roberts Hände begannen zu zittern, und erst jetzt sah Jeffrey, dass er Handschellen trug.
«Warum hast du Handschellen an?»
«Ich bin ein gefährlicher Verbrecher», erinnerte ihn Robert. «Ich habe zwei Menschen getötet.»
«Das hast du nicht», widersprach Jeffrey. «Robert, ich weiß, dass du es nicht warst. Warum lügst du?»
«Ich kann das nicht», sagte Robert. «Ich dachte, ich wäre stark genug, aber das bin ich nicht.»
Jeffrey legte Robert die Hand auf die Schulter, doch er nahm sie wieder weg, als er merkte, wie sein Freund zusammenzuckte.
«Wir besorgen dir einen Anwalt.»
«Ich habe kein Geld», entgegnete Robert. «Jessies Leute lassen mich lieber verrecken, als dass sie einen Dollar lockermachen.»
«Ich zahle», sagte Jeffrey und dachte fieberhaft nach, wo er das Geld auftreiben könnte. «Das Haus ist noch nicht abbezahlt, aber ich habe die Rentenversicherung. Viel ist es nicht, aber für den Vorschuss reicht es. Possum und ich finden schon einen Weg. Ich kann bei einem Sicherheitsdienst anheuern, einen Nebenjob annehmen.» Erversuchte, überzeugend zu klingen. «Ich ziehe zurück nach Birmingham und komme an den Wochenenden her.»
«Das kann ich nicht zulassen.»
«Du hast keine Wahl», sagte Jeffrey. «Du wirst nicht noch eine Nacht im Knast verbringen.»
Robert schüttelte den Kopf. «Ich hatte nie eine Wahl, Jeffrey. Ich hab dieses Leben so satt. Ich hab einfach die Nase voll, von allem und jedem.» Er schloss die Augen. «Jessie ist fertig mit mir. Schon ewig.»
«Ist es wegen der Fehlgeburt?», fragte Jeffrey. Er verstand, dass so etwas eine Belastung für eine Beziehung sein konnte. Es musste einen Grund geben, dass Jessie ihren Mann betrog. Menschen betrügen einander nicht einfach so.
«Viel, viel länger», sagte Robert. «Alles fing an, als Julia in die Schule kam und überall rumerzählte, ich hätte sie vergewaltigt. Jessie hat mir nie vertraut. Seit dem Tag nicht mehr.»
Jeffrey horchte auf. «Hast du Jessie gesagt, was passiert ist?»
«Sie hat mich nie gefragt», sagte Robert. «Sie glaubt ja, alles schon zu wissen. Warum fragen die Leute einen nicht wenigstens?»
«Vielleicht wollen sie die Antworten nicht hören», sagte Jeffrey. Er war auch nicht besser als Jessie. Trotzdem sagte er: «Jessie hat die Gerüchte nie geglaubt. Keiner, der dich kannte, hat es geglaubt.»
«Bei dir haben sie es geglaubt», gab Robert zurück. Er blickte Jeffrey mit feuchten Augen an. «Und ich hab sie die ganze Zeit in dem Glauben gelassen.»
«In welchem Glauben?»
«Dass du Julia vergewaltigt hast», erklärte er. Er schlugdie Augen nieder. «Ich hab sie in dem Glauben gelassen, dass du mit ihr im Wald warst. Dass du sie vergewaltigt hast.»
Jeffreys Mund wurde trocken.
«Ich wollte mich selbst schützen», sagte Robert. «Du warst weg, und ich musste hier bleiben. Ich musste damit leben, dass sie alle auf mich herabsahen und dachten, sie hätten mein
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