Schattenblume
einen netten Abend mit seinen Freunden. Sie sind zusammen zur Schule gegangen. Es ist genau wie bei uns, nur kleiner.»
«Ach, wirklich?»
Sara versuchte ihren Tonfall zu deuten, doch es gelang ihr nicht. «Jetzt sind wir bei seiner Mutter. Ich habe sie noch nicht kennen gelernt, aber sie ist sicher auch sehr nett.»
«Schön. Dann melde dich, wenn du morgen in Florida angekommen bist, falls du Zeit hast.»
«In Ordnung», versprach Sara. Sie hätte ihrer Mutter gern erzählt, was passiert war, was Jeffrey gesagt hatte, doch sie hatte nicht den Mut. Außerdem wollte sie sich nicht zum Narren machen.
Cathy schien Saras Zögern nicht aufzufallen. «Also dann, gute Nacht», sagte sie.
Sara wünschte ihr das Gleiche und legte auf, bevor ihr Vater noch einmal ans Telefon kam. Dann lehnte sie den Kopf gegen den Küchenschrank und überlegte, ob sie nicht doch noch einmal anrufen sollte. Sosehr ihr die Einmischung ihrer Mutter auf die Nerven ging, so wichtig war ihr Cathys Meinung. Im Moment passierte einfach zu viel. Sie brauchte jemanden, mit dem sie darüber reden konnte.
Plötzlich hörte sie ein Poltern aus dem Esszimmer, als wäre jemand gegen den Tisch gestoßen, dann fluchte jemand knurrend.
«Hallo?», rief Sara. Sie wollte Jeffreys Mutter auf keinen Fall erschrecken.
«Ich weiß, dass Sie da sind», antwortete eine raue Stimme. «Herrgott nochmal», fluchte sie und riss die Kühlschranktür auf. Im Licht des Kühlschranks sah Sara eine gebeugte alte Frau mit grau meliertem Haar. Ihr faltiges Gesicht wirkte greisenhaft – jede Zigarette, die sie geraucht hatte, schien eine Linie hinterlassen zu haben. Auch jetzt hielt sie eine Kippe in der Hand, an deren Spitze sich die Asche türmte.
May Tolliver knallte eine Flasche Gin auf die Arbeitsplatte und nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. Dann wandte sie sich an Sara. «Was machen Sie hier?», fragte sie, dann lachte sie dreckig. «Ich meine, außer dass Sie sich von meinem Sohn vögeln lassen?»
Sara war so schockiert, dass sie zu stottern anfing. «Ich … ich … lasse mich nicht …»
«Sie sind so ’ne feine Ärztin, was?», sagte sie. Wieder lachte sie, diesmal noch gemeiner. «Na, er wird sie schon runterholen von Ihrem hohen Ross. Oder glauben Sie vielleicht, Sie sind die Erste von dieser Sorte? Was Besonderes?»
«Ich –»
«Lügen Sie mich nicht an», bellte die alte Frau. «Ich rieche ihn an Ihrer Muschi bis hierher.»
Sekunden später war Sara auf der Straße. Sie wusste nicht einmal, wie sie den Schlüssel gefunden, die Tür aufgeschlossen und das Haus verlassen hatte. Sie wusste nur, dass sie so schnell wie möglich, so weit wie möglich von Jeffreys Mutter wegmusste. Noch nie in ihrem Leben hatte jemand so mit ihr gesprochen. Saras Gesicht brannte vor Scham, und als sie endlich unter einer Straßenlaterne Atem schöpfte, liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
«Scheiße», zischte sie. Sie drehte sich einmal im Kreis und versuchte sich zu orientieren. Irgendwann war sielinks abgebogen, aber mehr wusste Sara auch nicht. Sie erinnerte sich nicht einmal an den Namen der Straße oder daran, wie das Haus ausgesehen hatte. Ein Hund bellte, als sie an einem gelben Haus mit weißem Lattenzaun vorbeiging, und Sara bekam Gänsehaut, als sie feststellte, dass ihr weder das Haus noch der Hund bekannt vorkamen. Unter ihren nackten Fußsohlen brannte der heiße Asphalt, und jetzt fielen auch noch die Moskitos über sie her. Sara war sich nicht sicher, ob sie das Haus überhaupt wieder finden wollte. Lieber schlief sie auf der Straße, als noch einmal den Fuß in dieses Haus zu setzen. Ihre einzige Hoffnung war jetzt, den Weg zurück zu Nell und Possum zu finden. Im Radkasten ihres BMW hatte sie einen Zweitschlüssel versteckt. Jeffrey würde schon irgendwie zurück nach Grant County kommen. Und ob sie ihre Kleider und ihren Koffer je wieder sah, war Sara egal.
Plötzlich zerriss ein markerschütternder Schrei die Nacht. Sara erstarrte mitten in der Bewegung. Im nächsten Moment hallte die Fehlzündung eines Wagens wie ein Schuss durch die Stille, und Adrenalin jagte durch ihren Körper. In einiger Entfernung entdeckte Sara eine große Gestalt, die auf sie zurannte, und instinktiv drehte sie sich um und ergriff die Flucht. Schwere Schritte verfolgten sie. Sie arbeitete wild mit den Armen, hatte das Gefühl, die Lungen würden ihr in der Brust explodieren, doch sie rannte weiter.
«Sara», schrie Jeffrey, als er schon mit den
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