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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ein Patient gewesen wäre. Doch selbst wenn sie ihn vergessen haben sollte, warum sollte er hierher gekommen sein, um Jeffrey umzubringen? Oder handelte er vielleicht im Auftrag seines Freundes? Sara versuchte, einen besseren Blick auf den Komplizen zu bekommen. Er hatte die Mütze noch immer tief ins Gesicht gezogen, doch die Sonne, die durch den Spalt an der Eingangstür fiel, erhellte seine Augen. Sie waren vollkommen leer, wie eine Pfütze trüben Wassers.
    Plötzlich merkte Sara, dass Smith beobachtete, wie sie seinen Freund anstarrte. Hastig zwang sie sich, Allison zuzulächeln. Die Kleine hockte in sich zusammengesunken auf dem Tresen, der Rock bauschte sich um ihre Knie. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ruth Lippman war Saras Englischlehrerin in der zehnten Klasse gewesen. Sie war streng, konnte aber die Schüler begeistern, und Sara hatte sie dafür geliebt.
    «Er hat kaum einen Akzent», sagte Jeffrey. Es stimmte. Nur wenn Smith sich aufregte, hörte man, dass er aus dem Süden kam, ansonsten sprach er ein farbloses, unmelodiöses Englisch, wie man es beim Militär eingebläut bekam. Aber vielleicht reimte Sara sich das nur zusammen. Wahrscheinlichwollte er nur unbedingt Soldat sein; vielleicht war sein Vater ein hohes Tier beim Militär gewesen, aber mit seiner Kriminalakte und seinem psychologisches Profil wurde er selbst nicht einmal zur Grundausbildung zugelassen.
    Jeffrey blinzelte.
    «Versuch zu schlafen.»
    «Ich darf nicht», sagte er, doch seine Lider flatterten, und schließlich schloss er die Augen.
    Sara sah zu Smith, der die ganze Szene beobachtet hatte. Sie versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen, doch sie konnte das Zittern nicht unterdrücken. «Er braucht medizinische Versorgung. Bitte lassen Sie ihn gehen.»
    Smith verzog den Mund, als würde er tatsächlich darüber nachdenken. Neben ihm rührte sich sein Komplize. Er murmelte etwas, und dann ging Smith zum Telefon und nahm mit Schwung ab.
    Er sagte: «Wir tauschen die alte Frau gegen Sandwiches und Wasser ein. Und zwar ohne irgendwelche Zusätze. Wir haben ein paar Vorkoster hier.» Dann legte er den Kopf schräg und lauschte der Antwort. «Nein. Vergessen Sie es.» Nach einer weiteren Pause drehte sich Smith um und sah Allison an. Er hielt ihr das Telefon hin, und Sara ahnte, dass er sie anlächelte. Sie wünschte, das Mädchen würde ihm nicht vertrauen, doch sie sah, wie Allison zurücklächelte. Einen Moment später kniff er ihr ins Bein. Allison schrie auf, und Smith hielt sich das Telefon wieder ans Ohr.
    Er lachte blechern. «Ja, Sie haben richtig gehört, Lady. Die Kinder behalten wir.» Er drehte sich um und betrachtete die restlichen Geiseln. «Und wir wollen ein paar Bier.»
    Sein Partner riss den Kopf herum. Sara hatte den Eindruck, eben war Smith vom verabredeten Plan abgewichen. Soso, dachte sie. Vielleicht war Smith doch nicht der Anführer.
    Smith ließ den Ärger über die stille Rüge seines Partners an der Person am anderen Ende der Leitung aus. «Eine Stunde, du Schlampe. Wenn ihr länger braucht, gibt es hier noch viel mehr Tote.»

KAPITEL ELF
    Montag
     
    A m nächsten Morgen fuhr Sara zum Bestattungsinstitut. Jeffrey saß auf dem Beifahrersitz und wies ihr den Weg. Normalerweise war sie vor einer Obduktion gern allein, um sich mental auf ihre Aufgabe vorzubereiten, doch für diesen Luxus hatte sie heute keine Zeit. Bevor sie bei Nell aufgebrochen waren, hatte Sara noch ihre Mutter angerufen und angekündigt, dass sie am Abend wieder in Grant County wäre.
    «Hier ist es», sagte Jeffrey und zeigte auf ein u-förmiges Gebäude neben dem Highway. Bis auf einen kleinen Blumenladen auf der anderen Straßenseite war es das einzige Haus weit und breit. Sattelschlepper wirbelten heiße Luft auf, als Sara ausstieg. In der Ferne hörte sie Donnergrollen, und genauso war ihre Stimmung.
    Sie fuhr zusammen, als sie den Fuß auf den Asphalt setzte und sich ein Stein durch die dünne Sohle ihrer Sandale bohrte.
    Jeffrey fragte: «Alles klar?» Sie nickte und ging auf den Eingang zu.
    Paul, der Deputy, der sie gestern Abend zu Nell gebracht hatte, stand vor der Tür und rauchte eine Zigarette.Er drückte die Kippe am Rand der Mülltonne aus und warf sie in den mit Sand gefüllten Aschenbecher.
    «Ma’am», sagte er und hielt Sara die Tür auf.
    «Danke», sagte Sara. Sie bemerkte den argwöhnischen Blick, mit dem er Jeffrey bedachte.
    Jeffrey fragte: «Wo sind sie?»
    Er antwortete, ohne Jeffrey anzusehen.

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