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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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«Hinten. Einfach den Gang runter.»
    Der Hilfssheriff ging voran. Bei jedem Schritt hörte Sara seine Schlüssel rasseln und das Leder des Holsters quietschen. Mit den Spritzbetonwänden und den Neonröhren, die alles in gelbes Licht tauchten, wirkte das Bestattungsinstitut fast wie ein ganz gewöhnliches Amt. Es roch nach Chemikalien und künstlichem Raumduft, der in einem Wohnzimmer oder Büro vielleicht angenehm gewesen wäre, doch hier wurde Sara nur schlecht davon.
    «Hier lang.» Paul öffnete eine Tür am Ende des Korridors. Sara warf Jeffrey einen Blick zu, doch er sah mit regloser Miene an ihr vorbei in die Leichenhalle. Der Tote lag auf einem konkaven Tisch, rundherum standen Chemikalien und Kosmetika. Die Leiche war mit einem sauberen weißen Laken zugedeckt, dessen Saum im Luftstrom der brummenden Klimaanlage am Fenster flatterte. Es war so kalt hier unten, dass man kaum Luft bekam.
    «Hey», sagte Hoss und streckte Sara die Hand entgegen. Sie schüttelte sie kräftig, bis sie merkte, dass er sie eigentlich nur am Ellbogen fassen wollte, um sie in den Raum zu führen. Sara erinnerte sich vage, dass Männer aus Hoss’ Generation einer Frau normalerweise nicht die Hand schüttelten, es sei denn aus Spaß. Ihr Großvater Earnshaw, den sie innig liebte, war genauso.
    Hoss stellte sie den anwesenden Männern vor. «Das istDeacon White, der Betreiber des Bestattungsinstituts.» Der massige, mürrische Mann mit den Geheimratsecken nickte Sara kurz zu. «Das ist Reggie Ray.» Hoss zeigte auf den zweiten Hilfssheriff, der gestern Nacht bei Robert gewesen war. Der junge Mann trug immer noch die Kamera um den Hals, und Sara fragte sich, ob er den Apparat wohl auch mit ins Bett nahm.
    «Slick», sagte Hoss zu Jeffrey. «Ich glaube, ich habe euch gestern gar nicht vorgestellt – Reggie ist Marty Rays Junge.»
    «Was du nicht sagst», sagte Jeffrey kühl. Trotzdem streckte er dem anderen die Hand hin. Reggie nahm sie widerwillig, und wieder fragte sich Sara, warum sich die Deputys Jeffrey gegenüber so zugeknöpft benahmen.
    Hoss sagte: «Wir haben Roberts Aussage heute Morgen aufgenommen.» Jeffrey war sichtlich überrascht. «Die Nachbarn bestätigen seine Geschichte im Großen und Ganzen.»
    Sara wartete, dass Jeffrey etwas sagen würde, doch er starrte nur auf den Boden.
    Sekundenlang herrschte eine unangenehme Stille, dann zeigte Deacon White auf eine Tür hinter Sara. «Wir bewahren die Kittel im Lager auf. Sie können sich gerne bedienen.»
    «Danke», sagte Sara und bekam ein ernstes Nicken zur Antwort. Vielleicht nahm der Mann es ihr übel, dass sie an seiner Stelle die Obduktion durchführte. Der Bestattungsunternehmer von Grant County, ein alter Schulfreund von Sara, war mehr als froh gewesen, als sie ihm die Verantwortung als Gerichtsmediziner abnahm, doch Deacon White schien ein harter Knochen zu sein.
    Sie ging zu dem Lagerraum hinüber, der kaum mehr alsein Wandschrank war. Trotzdem schloss sie die Tür hinter sich. Kaum war die Tür zu, begannen die Männer zu reden. Sie hörte die Stimmen von Hoss und Paul. Anscheinend ging es um das letzte Basketballspiel der Highschool-Mannschaft.
    Sara faltete einen O P-Kittel auseinander und schlüpfte in die Ärmel. Als sie versuchte, die Bändel am Rücken zuzubinden, kam sie sich vor wie ein Hund auf der Jagd nach seinem eigenen Schwanz. Der Anzug war viel zu groß, er war offensichtlich Deacon Whites vollschlanker Mitte angepasst. Als sie schließlich die Füßlinge und die Haube überzog, kam sie sich in ihrem Aufzug vollkommen lächerlich vor.
    Sie hatte schon die Hand am Türgriff, doch bevor sie die Tür öffnete, schloss sie einen Moment die Augen und versuchte alles zu verdrängen, was in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert war. Die Vermutung, dass Robert sich die Wunde selbst zugefügt hatte, könnte ihre Untersuchungsergebnisse beeinflussen, und Sara wollte ganz sichergehen, dass sie sich nur an die klaren Fakten hielt. Sie war kein Ermittler. Ihre Aufgabe bestand allein darin, der Polizei ihre professionelle Einschätzung mitzuteilen. Die Polizei hatte selbst zu entscheiden, was sie daraus machte. Das Einzige, was sie tun konnte, war, ihre Aufgabe gut zu erledigen.
    Die Männer wurden still, als sie zurück in den Raum kam. Sie meinte ein Grinsen auf Pauls Gesicht gesehen zu haben, doch dann blickte er schnell wieder in sein Notizheft und schrieb mit einem abgekauten Bleistiftstummel etwas hinein. Deacon White stand neben der Leiche, und

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