Schattenblume
fragte Jeffrey.
«Er war sich nicht sicher», antwortete Hoss. «Vielleicht eine halbe Sekunde.»
Als Sara Jeffreys Gesicht sah, fragte sie sich, ob ihr die Skepsis ebenfalls anzusehen war. Wie oder wann eine Waffe abgefeuert wurde, war wissenschaftlich nicht nachzuweisen. Kugeln trugen keinen Stempel mit der Uhrzeit des Abfeuerns, und ob eine Waffe tatsächlich Ladehemmung gehabt hatte oder nicht, ließ sich unmöglich genau feststellen.
Sara wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Toten zu und fuhr durch sein Haar auf der Suche nach Knochenresten, die sie auf einem Tablett sammelte. Sie versuchte sich zu konzentrieren, doch sie wurde den Gedanken nicht los, wie schnell man ihr für jede Frage, die sich aus der Sachlage ergab, Entschuldigungen auftischte. Im umgekehrten Fall, wenn Robert hier vor ihr auf dem Tisch gelegen hätte, dann hätten alle anwesenden Männer Luke Swan gejagt wie einen tollwütigen Hund, davon war sie überzeugt.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, fragte Jeffrey Hoss: «Wo ist Robert jetzt?»
«Er ist bei Jessie und ihrer Mutter», antwortete er. «Warum?»
«Ich wollte mal nach ihm sehen. Hören, wie es ihm so geht.»
«Es geht ihm gut», sagte Hoss und sah auf die Uhr. «Das Ganze hier dauert länger, als ich dachte. Ich hab gleich einen Termin.»
Jeffrey fragte: «Soll Paul unsere Aussagen aufnehmen?»
Hoss schien die Aussagen völlig vergessen zu haben, doch dann sagte er: «Nein, das mache ich schon. Treffen wir uns so gegen drei auf dem Revier.»
Jeffrey wandte ein: «Wir hatten vor, so bald wie möglich zu fahren.»
«Kein Problem.» Hoss klopfte Jeffrey kräftig auf die Schulter. «Dann schaut ihr einfach auf dem Weg zum Highway auf dem Revier vorbei. Es dauert nicht lange, da bin ich sicher.»
Paul wartete, bis sein Boss draußen war, dann sagte er höflich: «Ich hab auch noch eine Menge Papierkram zu erledigen.» Er nickte Sara zu, dann ging er. Als Nächster war Deacon White an der Reihe, der sich wegen einer Verabredung zum Mittagessen verabschiedete. Sara fragte sich, ob er gesehen hatte, dass es auf der Uhr über der Tür erst zehn war.
Reggie ließ die Kamera sinken und lehnte sich gegen das Waschbecken. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, hatte er niemanden, der auf ihn wartete, doch selbst wenn, schien er Jeffrey nicht mit der Leiche allein lassen zu wollen.
Jeffrey machte es noch schlimmer, indem er Reggie fragte: «Was hat Robert ausgesagt?»
Reggie zuckte die Achseln. «Warum so neugierig?»
Jeffrey zuckte ebenfalls die Achseln.
Sara wusste nicht, wie Reggie es verkraften würde, doch sie sagte zu Jeffrey: «Ich möchte eigentlich nicht nach der Kugel graben. Wir brauchen zuerst Röntgenbilder, sonst zerstöre ich hier alle Spuren.»
Reggie sagte: «In dem Zimmer war keine Kugel mehr. Ich hab genau nachgesehen. Nur die zwei .22er lfB in der Wand und die Hülsen auf dem Boden, so wie ich sie aufgezeichnet habe.»
Jeffrey schien auf der Hut zu sein, als wollte er Reggie aushorchen. «Was für eine Ersatzwaffe hatte Robert?»
Doch Reggie starrte nur schweigend vor sich hin.
Sara sagte: «Die Neun-Millimeter ist schneller als die .22er.
Wenn
eine Kugel im Schädel stecken geblieben wäre, dann die .22er.»
Reggie klappte erstaunt den Mund auf. Er sah von Jeffrey zu Sara. «Ich denke, dann sollten wir die Kugel finden.»
Jeffrey nickte.
Während Sara sich frische Handschuhe anzog, dachte sie, dass sie hierzu eigentlich keine Befugnis hatte, doch es war der einzige Weg, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Vorsichtig betastete sie die Austrittswunde mit den Fingern; sie wollte nicht zur Zange greifen, um auf dem Metall keine Kratzer zu hinterlassen.
«Nichts», sagte sie schließlich. «Vielleicht steckt sie tiefer.»
Reggie erklärte: «Hoss wird nicht erlauben, dass wir ihn durchleuchten.»
«Luke», sagte Jeffrey. «Er heißt Luke Swan. Hat er mal bei dir im Streifenwagen gesessen?»
«Scheiße», schnaubte Reggie. «Zigmal.»
«Weswegen?»
«Meistens wegen Einbruch, aber er hat immer aufgepasst, dass keiner zu Hause war. Meistens ist er eingebrochen, wenn er dachte, dass die Leute in der Kirche sind.»
«Gestern war Sonntag.»
«Die Kirche macht um acht zu. Selbst wenn er total breit war, hätte er die Wagen in der Einfahrt sehen müssen.»
«Hat er schon früher Waffen bei sich gehabt?»
«Nein.»
«Ist er je gewalttätig geworden?»
«Nie.» Reggie dachte noch einmal nach. «Er war im Grunde harmlos, meistens hat er nicht mehr
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