Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
und reichte ihr einen.
    Sie zögerte, doch er bestand darauf. «Sara, ich habe jeden Zentimeter deines Körpers geküsst. Bild dir nicht ein, ich hätte nicht gemerkt, dass deine Füße so groß wie meine sind.»
    «Nicht ganz», murmelte sie und stützte sich auf seine Schulter, während sie in den rechten Schuh schlüpfte. Zu ihrer Schande passte er fast perfekt.
    Sie blickte ihn an, um zu sehen, ob er es merkte, doch erlächelte nur zu ihr hinauf und sagte: «Ich liebe es, wenn du rot wirst.»
    «Ich bin nicht rot geworden», widersprach sie, doch sie spürte, dass ihre Wangen glühten.
    Er half ihr in den zweiten Schuh. Sie wollte sich hinknien, um die Schnürsenkel zuzubinden, doch Jeffrey kam ihr zuvor. «Ich warte die ganze Zeit darauf, dass irgendjemand den Mund aufmacht. Sie können ihm die Geschichte doch nicht einfach so abkaufen.»
    «Ich glaube, Reggie stellt sich vielleicht doch ein paar Fragen», sagte sie und sah zu, wie er über der Schleife einen weiteren Knoten machte. Seine Hände waren so groß, und doch waren seine Berührungen immer ganz zart. Irgendwie hatte sich die Wut aufgelöst, die heute Morgen noch in ihr gegärt hatte, und sie wusste nur noch, dass sie vierundzwanzig Stunden vorher drauf und dran gewesen war, sich rettungslos in ihn zu verlieben. Sosehr ihre Vernunft auch dazu riet, sie konnte ihre Gefühle für ihn nicht ändern.
    «So.» Er stand auf, ihre Sandalen in der Hand. «Geht’s?»
    Sie ging einen Schritt und log: «Ein bisschen zu groß.»
    «Jaja.» Jeffrey lief auf Socken weiter. «Hat Reggie erwähnt, dass ich mal mit seiner Schwester zusammen war?»
    «Ich gehe mal davon aus, dass du mit jeder Frau in der Stadt was hattest.»
    Er sah sie seltsam an.
    «Tut mir Leid», sagte sie dann, und es stimmte auch. Ein paar Minuten liefen sie schweigend weiter, dann fragte sie: «Warum haben hier alle etwas gegen dich?»
    «Mein Dad war nicht im Rotary Club.»
    «Da muss doch mehr dran sein.» Sara fragte sich, was er verbergen wollte. Doch auch sie hatte ihre Geheimnisse, und so war sie in keiner guten Position, ihm seine Zurückhaltung vorzuwerfen.
    Er blieb stehen und sah sie an. «Ich möchte noch eine Nacht hier bleiben.»
    «In Ordnung.»
    «Und ich will, dass du bei mir bleibst.»
    «Ich habe nicht vor   –»
    «Du bist der einzige Mensch hier, der mich nicht für einen Verbrecher hält.»
    «Und Hoss.»
    «Er wird seine Meinung ändern, wenn ich meine Aussage mache.»
    «Was wirst du aussagen?»
    «Das Gleiche wie du: die Wahrheit.» Er lief weiter, und sie folgte ihm. «Vielleicht wäre alles anders, wenn Robert den Mund aufmachen würde.» Er blieb stehen und zeigte auf irgendetwas hinter Sara. Als sie sich umdrehte, sah sie die Berge, die sich am Horizont abzeichneten.
    «Das ist Herd’s Gap», sagte er. «Wo die Reichen leben. Jessies Familie zum Beispiel.»
    Sara beschirmte ihre Augen und betrachtete das Panorama.
    «Ich weiß, es sieht unscheinbar aus, aber wir sind direkt am Fuß der Appalachen. Von hier aus kann man es nicht sehen, aber dort drüben», er zeigte nach links, «sind die Cheaha Mountains.» Er ging weiter. «Und unter uns liegen fünfzig Kilometer des härtesten, weißesten Marmors der Welt. Fast hundertzwanzig Meter in die Tiefe.»
    Sara sah seinen Rücken an und fragte sich, was er ihr damit sagen wollte. «Aha.»
    «Das Washington Monument wurde mit Sylacauga-Marmor errichtet und das Oberste Bundesgericht auch», fuhr er fort. «Ich weiß noch, wie früher bei den Sprengungen die Fensterscheiben zitterten.» Er stieg über einen umgefallenen Baum und reichte Sara die Hand, um ihr zu helfen. An seinen Socken klebte Erde, aber es schien ihm nichts auszumachen.
    Er sagte: «Unter der Stadt fließt ein Fluss. Durch den unterirdischen Fluss und die Sprengungen im Steinbruch hat sich im ganzen Stadtgebiet der Boden stellenweise abgesenkt. Vor ein paar Jahren hat sich unter der Baptistenkirche ein Loch geöffnet, und die halbe Kirche ist zehn Meter in die Tiefe gestürzt.»
    «Jeffrey   –»
    Wieder war er stehen geblieben. «Genau so fühlt es sich an, Sara. Ich habe das Gefühl, die ganze Stadt versinkt, und ich stürze mit ihr in die Tiefe.» Er lachte bitter. «Es heißt, wenn man mal auf dem Boden ist, kann man nicht tiefer sinken. Aber in Sylacauga ist sogar das möglich.»
    Sara holte tief Luft, dann atmete sie aus. «Ich kann keine Kinder bekommen.»
    Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis er reagierte, dann sagte er unbestimmt:

Weitere Kostenlose Bücher