Schattenblume
Höhle irgendwann entdeckt, als wir auf der Suche nach Pfeilspitzen waren.»
«Pfeilspitzen?»
«Wir sind auf Indianergebiet. Zuerst waren die Creeks hier, dann die Krieger der Shawnee. Sie nannten den Ort Chalakagay. In DeSotos Bericht taucht er schon im frühen sechzehnten Jahrhundert auf.» Er hielt inne. «Aber um 1836 hat die Regierung sie natürlich alle nach Westen vertrieben.» Er hielt wieder inne. «Sara, ich will gar keine Kinder.»
Das Prasseln des Regens rauschte in der Ferne, es klang, als fegten tausend Besen über den Fels.
«Ich hatte als Kind nicht die besten Vorbilder, und wer weiß, was meine Gene noch ausbrüten, wenn ich sie weitergebe.»
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. «Erzähl mir lieber von den Indianern.»
Er küsste ihren Finger, dann fragte er: «Warum? Brauchst du eine Gutenachtgeschichte?»
Sara lachte. Solange er redete, konnte sie es ewig hier aushalten. «Erzähl mir irgendwas», bat sie.
Er überlegte einen Moment. «Du kannst es nicht sehen, aber hier drinnen gibt es auch Marmor. Nicht so viel, dass sich die Leute vom Steinbruch dafür interessieren würden, aber dahinten an der Wand sieht man deutlich die Marmoradern im Fels. Deswegen ist die Luft hier so kalt. Frierst du?»
«Nein, ich bin nur klitschnass.»
Er zog sie näher an sich, und sie legte den Kopf in die Kuhle unter seinem Hals. Alles war gut, wenn sie nur so dasitzen konnte, bis das Unwetter vorbeigezogen war.
Er fuhr fort. «Die Bank haben wir aus einem alten Auto auf dem Schrottplatz geklaut. Possum hat wahrscheinlich immer noch die Narben am Hintern, wo ihn der Wachhund gebissen hat. Der Couchtisch ist vom Sperrmüll. Wir haben ihn drei Kilometer bis hierher geschleppt.» Er lachte gutmütig. «Wir dachten, wir sind die Könige.»
«Ich wette, du hast deine Mädchen hierher gebracht.»
«Machst du Witze? Die hatten doch alle Angst vor Spinnen.»
«Spinnen?» Sie schrak zusammen.
«Erzähl mir nicht, dass du plötzlich Angst vor Spinnen hast.»
«Ich habe nur Angst vor Krabbeltieren, wenn ich sie nicht sehen kann.» Als er aufstand, fragte sie: «Wo willst du hin?»
«Warte», sagte er nur, und sie hörte, dass er sich an der Höhlenwand entlangtastete. «Wir hatten hier mal eine Kaffeedose …» Er wurde ruhig, und dann hörte sie dasScheppern von Metall. «Aha. Hier sind noch mehr Streichhölzer. Possum hatte sie aus einem Comicheft. Angeblich wasserfest.»
Sara zog die Füße an und saß kerzengerade auf ihrem Sitz. So verrückt es war, auf einmal hatte sie die unnatürliche Angst, dass jemand – oder etwas – die Hand nach ihr ausstrecken würde.
«Mal sehen», sagte er und riss das Streichholz an. Sein Gesicht tauchte aus der Dunkelheit auf, als er die Flamme an eine Kerze hielt. Das Streichholz flackerte, und sie hielt die Luft an. Sie würde nicht atmen, bis der Docht brannte.
«Unglaublich, dass sie immer noch funktionieren.»
Im flackernden Licht sah Sara plötzlich eine Gestalt hinter ihm. Ihr Herz machte einen Aussetzer, und sie schnappte so laut nach Luft, dass Jeffrey erschrak und sich den Kopf an der Decke stieß.
Dann drehte er sich um und schrie: «Großer Gott!»
Er wich zurück, stolperte über den Couchtisch und stürzte zu Boden.
Panisch griff Sara nach der Kerze. Sie verbrannte sich die Hand an dem heißen Wachs, doch sie schaffte es, die Flamme zu retten. Ihr Herz schlug so heftig, dass ihr der Brustkorb zu zerspringen drohte.
«Gott», rief Jeffrey und klopfte sich die Jeans ab. «Was zum Teufel ist das?»
Sara zwang sich aufzustehen, dann ging sie auf das Skelett zu, das sie Sekunden zuvor so fürchterlich erschreckt hatte.
Die menschlichen Überreste lagen auf einem Felsvorsprung wie auf einer Bank. Auch wenn die Knochen längst vergilbt waren, an ein paar Stellen waren noch Sehnen übrig; wahrscheinlich hatte sie die Kälte hier unten konserviert.Der linke Unterschenkelknochen fehlte mitsamt dem Fuß, ebenso wie einige Finger der rechten Hand. Selbst im schwachen Kerzenschein sah Sara, dass Nagetiere die Haut von den Knochen gefressen hatten. Sie hielt die Kerze an den Kopf, der zur Seite gerollt war und in einer Lücke zwischen zwei Steinen steckte. Der Schädel war auf der rechten Seite gebrochen und der Knochen eingedrückt. Wahrscheinlich von einem schweren Gegenstand erschlagen.
Als sie sich zu Jeffrey umdrehte, sah sie, wie er etwas in die Hosentasche steckte.
Er klang distanziert. «Was ist?»
Sara blickte wieder auf das Skelett. «Ich
Weitere Kostenlose Bücher