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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Stadt zu. »Was mag der Traum bedeuten? Ist dieser König ein Feind in unserem Inneren, der aus Arphats Trümmern auferstehen wird? Oder erwacht er, um uns zu retten?« Sie deutete auf das Heer am Ufer. »Die Goldei werden kommen, und der Blutzoll wird hoch sein. Wir werden Zeugen einer Schlacht, die nur Verlierer kennt.«
    Der Wind blies ihr seinen glühenden Hauch ins Gesicht, als wollte er die Sängerin verspotten. Zugleich trug er ein Geräusch mit sich; ein seltsames Raunen. Die Sängerin blickte nach Osten. Am Horizont - dort, wo der Nesfer sich zwischen den Ausläufern der Stadt verlor - flimmerte die Luft über einem hellgrünen Uferstreifen. Von dort drang das Flüstern.
    »Die Wispernden Felder von Praa … sie spüren die Magie der Goldei.« Lyndolin wußte nur wenig über die Quelle am Ufer des Nesfers; nur einmal hatten die Priester sie zu ihr geführt. Die Felder zogen sich über eine Länge von zwei Meilen am Nordufer entlang - hellgrüne Gräser, die Tag und Nacht rauschten, gleich ob Wind wehte oder nicht. In ihrer Nähe verstummte ein jeder Mensch, lauschte dem Flüstern, versuchte ihm einen Sinn zu geben; und wer es wagte, die Felder zu betreten, den schnitten die Halme in Fetzen. Deshalb hütete die Calindor-Loge das Ufer, gab auf passierende Boote acht und tränkte den Lehm rund um die Felder mit Öl, um die Quelle in ihren Grenzen zu halten. Doch nun, da die Goldei nahten, waren die Wispernden Felder in Aufruhr; seit Tagen schwoll ihr Flüstern an, als wären sie in froher Erwartung. Würden sie Praa verraten wie die übrigen Quellen, die von den Goldei befreit worden waren?
    »Es wird ein trauriges Lied sein, das ich singen muß.« Lyndolins Stimme klang müde. »Wo ist die Hoffnung, die uns am Leben hält? Ich wünschte mir, jung zu sein; dann trüge ich sie noch in mir.«
    Ihre Hand wischte über die Saiten. Warme Klänge mischten sich mit dem Wispern der Felder. Die Priester rückten näher an Lyndolin heran; sie schätzten die alte Frau. Vor allem die Agihor-Priester suchten oft ihren Rat, ließen sich von ihr das Schicksal Arphats prophezeien - auch wenn Lyndolins Vorahnungen düster waren. Und in vielen Tempeln wurden die Balladen gesungen, die sie in den vergangenen Wochen gedichtet hatte; Lieder der Wehmut und Furcht. Heute würde ein neues Lied entstehen - und Praa überdauern, falls der Sieg den Goldei zufiel.
    Dumpfe Klänge hallten aus dem Westen zu ihnen herüber.
    »Trompeten«, murmelte Lyndolin. Ihre Finger dämpften den Harfenklang. »Die Schlacht beginnt.« Schreie gellten durch das Heilige Spektakel. Es war, als hätte ein Geisterreich die Tore aufgestoßen, um mit seinen Schrecken die Kavernen des Spektakels zu erschüttern.
    Von Benris' Hand tropfte Blut. Der glatzköpfige Mann war auf einem Felsen im Höhlengang zusammengesunken; Öllampen erhellten sein Gesicht. Über ihm sangen die Silberfäden des Gefüges. Ein Messer entglitt seinen Fingern, klirrte auf dem Gestein.
    »Darsayn - ich kann nicht mehr … ich kann sie nicht mehr leiden hören!« Benris' Stimme war voll des Grauens. Er blickte auf den Haubenträger, der unweit von ihm an der Felswand lehnte. Darsayn keuchte, seine Augen waren geschwollen, und die Lippen zitterten, als spräche er zu sich selbst. Auch er lauschte den Schreien. »Sie sterben wie die Fliegen, krümmen sich in Schmerzen, schlagen um sich … ich habe Euch gewarnt. Sie waren nicht bereit für die Beschlagung; nun bringt das Gefüge sie um, foltert sie zu Tode.« Benris deutete auf das blutige Messer. »Soeben mußte ich einem Knaben den beschlagenen Arm abtrennen; er war kaum zwanzig Jahre alt. Wir verlieren sie, Darsayn!«
    Der Haubenträger fuhr zu ihm herum. »Der Wandelbare hat es befohlen - das gesamte Spektakel muß ihm in die Sphäre folgen. Der Weltengang - es gibt nichts, was wir daran ändern können.« Er blickte auf den summenden Draht an der Decke; dann brach er zu Boden. »Wie lange haben wir auf diesen Tag gewartet? Wir ersehnten ihn; doch ahnten wir, welche Schrecken er mit sich bringen würde?« Er kroch auf Benris zu. »Hörst du? Laghanos ruft nach uns, ruft uns in die Schlacht.«
    Benris zerrte den Haubenträger auf die Beine. »Zweihundert Beschlagene nahm Laghanos mit in die Sphäre; nun haben wir nochmals dreihundert Männer und Frauen dem Gefüge übergeben, sämtliche Unbeschlagenen. Kaum jeder dritte wird es überleben. Ist es wirklich das, was der Weltenschmied von uns fordert?« »Alle müssen folgen! Dies waren

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