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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Abständen auf seine Lippen strich, hatte seine Zähne grün verfärbt. Der Vorrat seines Silberdöschens schien niemals zu versiegen.
    »Geduld, Geduld«, keuchte Baniter. Mühsam schleppte er sich hinter dem Baumeister her. Der Gang war eng, kalt, dunkel; Baniters Augen hatten sich nur langsam an das trübe Licht gewöhnt, das von dem überall wuchernden Moorspolster ausging, und seine Knochen litten unter der Feuchtigkeit. Die Gelenke schmerzten, das verwundete Bein pochte, und die gebückte Haltung, die ihm die niedrigen Gänge aufzwangen, schlug ihm aufs Kreuz.
Ich bin keine zwanzig mehr, verflucht! Ich sollte das Bett hüten, anstatt dem ›Schwärmer‹ durch dieses verrottete Labyrinth zu folgen.
    Baniter vermutete, daß sie bereits seit zwei Tagen durch die Katakomben irrten. Zweimal hatten sie eine Rast eingelegt; er hatte dann versucht zu schlafen, doch Sardreshs unentwegtes Geplapper hatte ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Der ›Schwärmer‹ benötigte keinen Schlaf, vermutlich war er zu aufgeputscht durch seine Salbe. Auch hatte er seinen Wasservorrat und die Brotstücke, die er aus den Taschen seines Hemdes hervorgezaubert hatte, selbstlos dem Fürsten überlassen. Früher oder später würde der Baumeister zusammenklappen, davon war Baniter überzeugt - und dann wäre er allein im Verlies, ohne Hoffnung, jemals den Ausgang zu finden.
    Das Verlies der Schriften bestand aus unzähligen Gängen, manche schnurgerade, andere gewunden. Immer wieder verästelten sie sich; Seitenwege führten ab, steile Treppen luden dazu ein, in tiefere Ebenen hinabzusteigen. Zudem waren die Gänge abschüssig; wohin sie führten, war nicht abzusehen. Laut Sardresh waren sie die Überreste einer Siedlung, die in der Alten Zeit von dem Seefahrer Varyn erbaut worden war, dem legendären Entdecker und Zauberer aus Gyr. Baniter vermutete eher, daß es sich um ein uraltes Abwassersystem handelte, das nach der Aushebung der Kanäle in Vergessenheit geraten war.
    Ein Teil der Gänge jedoch, so wußte Baniter, war von der Magie einer Quelle beseelt, neben dem Auge der Glut die wohl mächtigste des Kaiserreiches, und die fremdartigste dazu. Durta Slargin hatte nur einige der Gänge in seinen Bann zwingen können; über diesen hatte die Tathrilya später den Silbernen Dom errichtet. Doch in tieferen Abschnitten flössen die Sphärenströme ungebändigt; man munkelte von entfesselten Geistern und Ungeheuern. Natürlich glaubte Baniter kein Wort dieser Gerüchte.
Eines jener Märchen, die von den TathrilPriestern in Umlauf gesetzt wurden, um neugierige Besucher abzuschrecken.
    Sardresh von Narva hatte derweil wieder sein Döschen hervorgekramt und tupfte die Salbe auf seine Lippen. Hektisch winkte er Baniter zu sich, stampfte mit den Füßen auf wie ein beleidigtes Kind. »Ihr seid zu langsam. Das enttäuscht mich. Ich glaubte, ein Geneder wäre flinker. Entschlossener !«
    »Und ich glaubte, hier unten etwas Aufschlußreiches zu finden.« Baniter schob die Hand des Baumeisters beiseite, der seinen Mantel zu fassen versuchte. »Oben in Vara tobt längst der Kampf zwischen dem Kaiser und Sinustres Leuten, und Ihr schleppt mich durch kahle Gänge. Wenn dies Eure vielgerühmte Stadt unter der Stadt ist, Sardresh, dann ist sie bemerkenswert trostlos.«
    »Ich verstehe. Ihr seid ungeduldig.« Der Baumeister streckte ihm das Döschen entgegen. »Es gibt einen rascheren Weg. Wenn Ihr von der Frucht des Verlieses kostet, eröffnet sich Euch das Geheimnis im Nu.« »Das glaube ich gerne.« Angewidert betrachtete Baniter die grüne Paste. »Aus was besteht Euer Lippenfett, wenn ich fragen darf?«
    Sardresh kicherte. Seine Finger griffen an die Decke, gruben sich unter das schimmernde Moos. »Die Frucht des Verlieses. Die magische Rebe. Der Wein der Erkenntnis.« Er zwinkerte dem Fürsten zu. »Ich war in Eurem Alter, als ich ihren Saft zum ersten Mal kostete. Die Frucht hat mir die Augen geöffnet. Das Sehen gelehrt. Durch sie habe ich erkannt, welche Kraft das Verlies in sich birgt. So konnte ich das zukünftige Vara vorausahnen. Seine Pracht. Seine Herrlichkeit.« Er verdrehte die Augen, schnaufte glückselig. »Zu sehen, Baniter, ist nicht leicht. Wir verschließen unsere Blicke der Wahrheit. Wir lassen uns einlullen von den Bildern, die man unseren müden Augen vorgaukelt. Wir glauben den Lügen. Wir fühlen uns wohl in den falschen Kulissen.« Seine Augen füllten sich mit Tränen der Ergriffenheit. »Die Sphäre, Fürst Baniter,

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