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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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verzehrte er sie. Wenn ein Tier seinen Weg kreuzte, jagte er es und fraß sein Fleisch. Wenn er eine geschützte Stelle fand, schlug er sein Lager auf. Doch sobald ein Sturm oder eine Flut ihn vertrieb, mußte er weiterziehen. Auf der Suche nach einem neuen Ort, an dem es sich leben ließ. Welch rastloses Dasein! Dann endlich bezwang Durta Slargin die Quellen. Er ermöglichte den Menschen, sich dauerhaft niederzulassen. In Sicherheit zu leben. Eine Kultur zu entwickeln. Sprache! Musik! Schrift! Die Geburt der Stadt.
    Die höchste Form menschlichen Zusammenlebens!« Wie im Fieber riß Sardresh das Moos von den Wänden. »Die Stadt bedeutet Freiheit. Gemeinschaft. Selbstverwirklichung. Der Endpunkt allen Strebens. Das Ziel all unserer Wünsche.«
    Baniter konnte es sich nicht verkneifen zu widersprechen. »Ihr macht es Euch zu einfach. Städte sind laut, sie stinken und ersticken jede Lebensfreude. Die Armut in manchen Vierteln ist bedrückend, in den Gossen herrschen Gewalt und Vereinsamung. Seht Euch Vara an, Eure heißgeliebte Stadt … wie viele Kinder werden Jahr für Jahr in den Straßen ausgesetzt, wie viele Säuglinge von ihren Müttern in den Kanälen ertränkt? Die Großbürger schotten sich in ihren Häusern ab, mehren den Reichtum und tummeln sich am Abend in der Halle der Bittersüßen Stunden, wo sie sich als die Herren von Vara gebärden. In den Gossen aber haben die Menschen nichts zu beißen, leiden unter der Willkür der Stadtgarde und bestreiten ihr Dasein mit Diebstahl und Plünderung. Nennt Ihr dies das Ziel all unserer Wünsche?«
    »Ihr habt ja recht, Baniter. Die Stadt ist mit Fehlern behaftet.« Sardresh schien nun erst richtig in Fahrt zu kommen. »Sie muß auf eine neue Stufe gehoben werden. Ein neuer Plan! Ein neuer Entwurf! Seit Jahren zerbreche ich mir den Kopf über ihre künftige Gestalt. Sie muß den Anforderungen der Menschen angepaßt werden. Das erfordert, in höheren Kategorien zu denken. Sich von alten Mustern und Denkweisen zu lösen.« Er wies auf den Boden, auf das dunkle Metall. »Der Schlüssel, Baniter, liegt zu unseren Füßen. Das Verlies besitzt die Macht, Vara zu verändern. Hier können wir eine neue Stadt entwerfen. Die nicht mehr dem Erdboden verhaftet ist. Die ihre Begrenztheit hinter sich läßt. Die alles mit einbezieht: den Himmel, das Land, das Meer und den Menschen. Eine Stadt jenseits aller Starrheit. Der Veränderung aufgeschlossen! Ich träume von Gebäuden, die nicht nur einem Sinn und Zweck dienen, sondern sich den Bedürfnissen der Bewohner anpassen Ich träume von Straßen, die nicht nur der Fortbewegung dienen, sondern die Menschen auf viele Arten verbinden.« Sardresh preßte das Gesicht gegen die Mauer, die unter dem weggerissenen Moos zu erkennen war. »Euer Großvater zögerte zu lange, bis er den Einflüsterungen der Ahnen erlegen war. Ihr aber, Baniter, werdet mich nicht enttäuschen. Ihr wißt um die Bedeutung meiner Ideen. Die Goldei nahen. Die Menschen benötigen eine Zuflucht. Unsere Stadt wird ihnen offenstehen! Sie wird ihnen eine neue Heimat sein, wenn die Sphäre über Gharax hereinbricht.«
    Das wirre Gerede machte Baniter Angst. »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt. Was habe ich damit zu schaffen?«
    »Ich habe den Plan entwickelt. Die Stadt entworfen. Doch nur Ihr könnt sie wahr werden lassen. Denn Ihr könnt die Schriften lesen!« Sardresh hieb mit der Faust gegen die Mauer. »Seht Ihr sie nicht? Sagt es mir, Baniter - könnt Ihr sie sehen?«
    Baniter kniff die Augen zusammen. Er erhaschte einen Glanz, der unter dem fortgerissenen Moos zu Tage getreten war. Auf der Mauer waren Zeichen angebracht, in Gold auf das Gestein gegossen: kleine Striche, Schnörkel und Punkte.
    Baniter stockte der Atem. »Die Luchsschrift …« Er schob Sardresh zur Seite, legte seine Finger auf die Symbole. »Das ist unmöglich! Diese Zeichen - niemand weiß um ihr Geheimnis!«
    »Außer der Familie Geneder!« Sardresh nickte triumphierend. »Die Geheimschrift Eures Urahnen. Vom Vater auf den Sohn übergangen. Die ewigen Bande der Zeit.«
    »Unsinn!« entfuhr es Baniter. »Die Schrift wird nicht vererbt, sondern muß unter Schweiß erlernt werden. Es ist ein hartes Brot, sich die unzähligen Bedeutungen der Zeichen einzuprägen, doch dies kann jeder, der den Willen dazu aufbringt. Meine Frau beherrscht die Luchsschrift seit Jahren, und der Siegelmeister Mestor Ulba - Tathril sei seiner Seele gnädig - konnte sie gar ohne jedes Vorwissen

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