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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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entschlüsseln.«
    Sardresh winkte ab. »Und doch erfaßten sie nur einen Teil der Schrift. Die wahre Erkenntnis ist den Genedern vorbehalten. Das wißt Ihr selbst nur zu gut.«
    Baniter mußte sich eingestehen, daß der Baumeister nicht ganz falsch lag. Jundala hatte Jahre damit zugebracht, die Zeichen zu verstehen, und beherrschte trotz allem nur die vereinfachte Schreibweise; diese reichte zwar aus, um Botschaften zu schreiben oder zu lesen, nicht aber, um die Familienbücher der Geneder zu entschlüsseln. Ihre gemeinsame Tochter Sinsala hingegen hatte in Windeseile die Geheimschrift erlernt.
Nun finde ich sie hier unten, tief unter Vara …
»Diese Zeichen müssen uralt sein!« Ergriffen ließ Baniter seine Hand über die Kreise und Häkchen gleiten. »Wie kommen sie hierher?«
    »Vara ist die Stadt Euer Ahnen. Die Stadt der Geneder. Das Wissen um die Schrift wurde von Eurer Familie gehütet. Weitergetragen bis ins letzte Glied. Begreift Ihr nicht den Zusammenhang?« Sardreshs Stimme wurde zu einem Flüstern. »Lest, Fürst Baniter! Lest, was geschrieben steht.«
    »Aber das kann ich nicht.« Baniter ließ seine Hand sinken. »Luchszeichen ergeben nur im Zusammenhang mit anderen Worten einen Sinn. Sie beziehen sich auf Buchstaben und Bedeutungen eines Textes, den sie wie eine Verzierung umgeben. Aber auf dieser Wand steht keine zweite Schrift ich sehe nur Luchszeichen.« »Die zweite Schrift?« Sardresh lachte wie über einen gelungenen Scherz. »Natürlich seht Ihr sie nicht. Sie muß ja erst geschrieben werden. Von Eurer Hand! Deswegen seid Ihr hier. Nur Ihr könnt den Zeichen eine Bedeutung geben.« Sein Tonfall wurde eindringlich. »Seht sie Euch genau an, Baniter. Lest, während Ihr schreibt. Schreibt, während Ihr lest. So wird die Stadt erwachen.«
    Baniter fühlte eine unnatürliche Kälte vom Untergrund aufsteigen. Die Nähe des dunklen Metalls ließ ihn schwindeln, und die Zeichen flimmerten vor seinen Augen.
Was sahst du in ihnen, Norgon, als der ›Schwärmer‹ sie dir zeigte? Konntest du ihren Sinn ergründen ?
Wieder hob er die Hand und legte sie auf die Mauer, versuchte sich auf die Schrift einzulassen.
Sinn und Widersinn

hier im Verlies liegen sie dicht beieinander.
»Der Schlüssel sprengt den Stein - aber wo finde ich ihn?« »Zu Euren Füßen.« Sardresh rückte an ihn heran; Baniter konnte seinen sauren Atem riechen. »Der Lehm des Verlieses. Er öffnet uns den Weg, um Vara zu formen. Varyn brachte den schwarzen Schlüssel vor langer Zeit hierher. Er benutzte ihn, um die Stadt zu erbauen. Er verschloß mit ihm das Verlies. Doch er hatte kein Recht, ihn den Menschen für immer vorzuenthalten. Deswegen, Baniter, erlernte vor Jahrhunderten Euer Vorfahre die Schrift des Verlieses: Geneder, der Ahnherr Eurer Familie. Einer der Gründer des Südbundes. Ein Mitglied des Silbernen Kreises. Er lernte die Schrift, damit eines Tages ein Nachfahre in diese Kammern hinabsteigt. Den Schlüssel ergreift! Der Menschheit die Pforten öffnet.«
    Varyn der Seefahrer, Durta Slargin und seine ewige Wanderschaft, der Silberne Kreis und die Ruhmestaten der Gründer …es ist erschreckend, welche Macht diese Legenden über uns besitzen! Ist es wirklich der schwarze Schlüssel, der uns die Pforten öffnet, oder der bloße Entschluß, eine Geschichte für wahr zu erklären ?
Sein Blick blieb auf die Zeichen geheftet. »Dann hört mir zu, Sardresh. Ich will Euch vorlesen, was hier geschrieben steht.« Baniter atmete tief ein. »Es … ist die Geschichte von Vara, so wie ich sie vielfach vernommen habe, so wie sie mir und anderen in jungen Jahren erzählt wurde.« Er riß einen weiteren Streifen des Mooses fort, um die Luchszeichen freizulegen. »Sie reicht von ihrer Gründung bis zum heutigen Tag - bis zu der Stunde, in der wir hier stehen und auf sie zurückblicken. Ich will sie Euch erzählen, Wort für Wort!« Der pechschwarze Lehm unter ihren Füßen begann zu vibrieren.
    Nhordukael spürte eine Erschütterung. Der Gang wankte, die Wände knirschten. Wassertropfen lösten sich aus dem Moospolster an der Decke, blitzten im Licht wie herabfallende Glasperlen. Einige trafen seinen Körper und verdampften mit zischendem Laut.
    Kalt … es ist so kalt …
Je weiter er in das Verlies der Schriften drang, desto schwächer wurde seine Verbindung zum Brennenden Berg. Das Feuer wärmte ihn nicht mehr, seine Haut kühlte ab. Das Auge der Glut besaß hier unten keine Macht, und Nhordukael war sich der Begrenztheit seiner

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