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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Magen. Seine Augen brannten. Das Herz setzte für einige Schläge aus … und plötzlich durchschaute Nhordukael die Tücke des Verlieses. Sah, wie die Gänge ihn getäuscht hatten, wie er die ganze Zeit im Kreis herumgeirrt war, ohne Aussicht, etwas zu finden. Denn das wahre Verlies war ihm die ganze Zeit verborgen geblieben.
    Die Wände glitten zur Seite, lösten sich auf. Der Schatten vor ihm zerspritzte wie Tinte. Grelles Licht blendete Nhordukael. Wärme durchflutete seinen Körper. Die Luft war erfüllt vom Hauch der Sphäre. Er atmete ihn ein und öffnete sich der anderen Seite.
    Er stand nun in einer großen Halle; ihre Wände schimmerten und bewegten sich wie fließendes Metall. Er glaubte den Raum wiederzuerkennen: über ihm eine prächtige Kuppel, im hinteren Teil eine aufstrebende Säule. Durch Fensterbogen strömte Licht in den Raum, und von draußen waren Stimmen zu hören, eine aufgebrachte Menschenmenge.
    Bin ich noch immer im Silbernen Dom? Träume ich dies alles und nehme meine Umgebung nur verzerrt wahr?
Er erblickte eine Gestalt in seiner Nähe; sie war dürr, die Hände und Arme zu lang für den Körper, und das Gesicht starr wie eine Maske: fleischige Lippen, Augen aus Gold, die Haut bleich wie Wachs. Das Wesen kam auf Nhordukael zu; es schwebte mehr über den Boden, als daß es ging, und sein Leib verformte sich mit jedem Schritt. Unter dem Seidengewand bogen sich die Glieder wie weiche Masse. »DAS WAR TAPFER … HÄTTEST DU LÄNGER GEZÖGERT, WÄRE DAS VERLIES ÜBER DICH HERGEFALLEN. ES MISSTRAUT JENEN, DIE SICH ZU UNS HERABWAGEN.« Die Stimme kam nicht aus dem Mund des Wesens, seine Lippen bewegten sich nicht.
    »Dann muß ich mich wohl für deinen Rat bedanken.« Nhordukael betrachtete den Kelch in seiner Hand; er sah nicht mehr alt und abgenutzt aus. Nein, das Silber funkelte, und statt des wäßrigen Suds schwappte ein roter Wein in ihm. »Wer bist du, daß du mir so selbstlos zur Seite springst?«
    »GLAM … NENNE MICH GLAM. SO HAT DIE HERRIN MICH GETAUFT, ALS SIE MICH VON DEN FESSELN BEFREITE, SLE SANDTE MICH AUS, DICH ZU SUCHEN. DAS GESAMTE VERLIES BEMERKTE DEINE ANKUNFT UND ZITTERTE VOR DIR.«
    Nhordukael blieb mißtrauisch. »Und wer ist deine Herrin? Erwähntest du nicht vorhin den Namen Mondschlund?«
    »MONDSCHLUND IST DER HERR MEINER HERRIN, UND DER HERR VON UNS ALLEN, DER MEISTER DES VERLIESES. ER LIESS ES ERBAUEN. ER GEBIETET ÜBER DIE STADT IN DER TIEFE …«
    »Und aus ihr dringt seine Stimme bis in die Sphäre«, murmelte Nhordukael. Er musterte Glam. »Kannst du mich zu ihm bringen?«
    »MONDSCHLUND VERSCHWAND VOR JAHRTAUSENDEN, NACH SEINEM STREIT MIT DEM DIEB DES SCHLÜSSELS.«
    Nhordukael rief sich in Erinnerung, was Mondschlund ihm über diesen Schlüssel erzählt hatte: daß Kahida, die Rote Herrin, ihn auf der Insel Tyran geschmiedet und versteckt hatte, damit Sternengänger ihn nicht in die Finger bekommen konnte; daß Mondschlund den Schlüssel von seinem Schüler Varyn hatte fortbringen lassen, um ihn im Verlies der Schriften zu verwahren; daß Sternengänger ihn dort eines Tages gefunden hatte, um unter dem Namen Durta Slargin die Welt zu durchwandern und die Quellen zu bändigen.
Was ist wahr an dieser Geschichte, und was erlogen ?
»Dann war es also nicht Mondschlund, der dir auftrug, mich zu beschützen?«
    »NEIN … MONDSCHLUND IST VON UNS GEGANGEN. NUR MANCHMAL DRINGT SEINE STIMME BIS IN UNSERE TRÄUME UND SINGT UNS VON BESSEREN TAGEN. MICH ABER SCHICKTE SAL'KANEE, SEINE DIENERIN. SLE WILL DICH SEHEN, DICH SPRECHEN . . .«
    »Dann bring mich zu ihr. Ich will endlich verstehen, wozu dieses Verlies dient.«
    Glam senkte das Haupt, eine Art absurder Verneigung. Dann glitt er zu der Säule im hinteren Teil der Halle. Sie umgab eine Wendeltreppe, so wie ihr Gegenstück im Silbernen Dom.
    Ist dieses Wesen lebendig oder ein Geist? Und warum rettete es mich vor dem Schatten, der im Gang auf mich zuschoß? Mondschlund ist mir einige Erklärungen schuldig …
Die Macht der Worte. Sinn und Widersinn. Goldene Zeichen, auf das Gestein gegossen … Je länger Baniter las und erzählte, erfand und erdichtete, desto mehr entrückte das Verlies seinen Sinnen. Die Luchszeichen verschwammen vor seinen Augen, und er empfand die eigene Stimme als fremd. Sie erzählte ihm die Geschichte von Vara, und er lauschte ihr und damit sich selbst: hörte von Varas angeblicher - oder tatsächlicher - Erbauung durch den Seefahrer Varyn; von ihrer Tradition als Widerstandsnest gegen die

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