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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Königreiche des Nordens; von dem Bund der zehn Gründer, die den Süden aus dieser Sklaverei befreien wollten. Er hörte von der Entstehung der Tathril-Kirche, die mit dem Silbernen Dom das prächtigste Bauwerk von Gharax erschaffen hatte. Und er hörte von seiner Familie, den Genedern, deren innige Verbindung mit der Stadt nach Norgons gescheitertem Umsturz zerrissen war. All dies hörte Baniter aus seinem eigenen Munde, las es von den Wänden, obwohl die Geschichte seiner Erinnerung entsprang, und bald wußte er nicht mehr, ob er Erzähler oder Zuhörer war. Sinn und Widersinn … all dies vermischte sich hier im Verlies der Schriften.
    Irgendwann wurde ihm bewußt, daß er sich gar nicht mehr in der dunklen Grotte befand. Er stockte, blinzelte und sah sich um. Dann ließ er das Buch sinken, das er in den Händen hielt - einen Folianten, die Seiten mit Luchszeichen bekritzelt. Helles Licht fiel auf ihn herab; über ihm ein gleißender Himmel, obwohl keine Sonne zu sehen war.
    »Und wie ging es mit der Stadt weiter, als die Geneder vertrieben wurden?« fragte ein kleiner Junge. Er saß inmitten einer Kinderschar; diese hatte sich auf den Stufen einer Treppe niedergelassen. Baniter selbst hockte auf der obersten Stufe, hinter ihm eine schwarze Wand, geschmiedet aus dem Metall des Verlieses. Die Kinder sahen erwartungsvoll zu ihm auf. Ihre Augen waren aus purem Gold und warfen sein Spiegelbild zurück.
    »Sprich schon«, quengelte der Junge. »Was wurde aus Vara?«
    Baniter ließ seine Blicke umherschweifen. Von der erhöhten Treppe aus konnte er eine Stadt erkennen: hohe Türme, die in den Himmel aufragten. Ihre Fassaden glänzten in vielen Farben: der warme Gelbton des Salphurs mischte sich mit dem weinroten Glanz des Padrils, grüne Zindrasttafeln hoben sich von schwarzfunkelndem Sithalit ab. Manche Gebäude waren auf mehreren Ebenen mit Treppen verbunden. Und dort - in einer gläsernen Rinne am Boden floß ein Strom. Boote schwammen auf dem Wasser; Staker schwenkten ihre Stangen und winkten dem Fürsten zu.
Die Stadt unter der Stadt, die Welt unter der Welt
Sardresh wollte sie mir zeigen. Ich hätte ihm früher Glauben schenken sollen.
    Baniter klappte das Buch zu. »Meine Geschichte endet hier. Was mit Vara geschah, muß ich selbst erst noch erfahren.« Sein Hals schmerzte; ihm war, als ob er seit Stunden gesprochen hatte.
    Die Kinder wirkten enttäuscht. »Wir dachten, du hättest uns mehr zu sagen«, murrte eines von ihnen. »Wir warten schon so lange auf ein Ende der Geschichte …«
    »Er ist auch nicht besser als die anderen Großen«, beklagte sich ein älteres Mädchen. »So wie der Mann mit den Schattenfiguren. Der hat uns auch nur Dinge erzählt, die wir längst wußten.«
    Nun hörte der Fürst, wie jemand seinen Namen rief. Am Fuß der Treppe stand Sardresh. Er schwenkte seinen Lederhut.
    »Der ›Schwärmer‹«, stieß Baniter hervor. Rasch erhob er sich, drückte das Buch gegen seine Brust. »Wo willst du hin?« Der Junge war aufgesprungen. »Warum redest du nicht weiter?«
    »Ich … muß gehen«, stotterte Baniter und wich dem Blick der goldenen Augen aus. Dann bahnte er sich einen Weg durch die Kinder schar; sie wollten ihn mit ihren kleinen Händen festhalten, doch er riß sich los. »Laßt mich …!«
    Er stürzte die Treppe herab. Hinter sich hörte er die Kinder johlen, doch sie ließen ihn ziehen. Bald hatte er die letzte Stufe erreicht. Der Baumeister wartete bereits auf ihn.
    »Da seid Ihr ja. Habt Ihr Euer Publikum gut unterhalten?«
    Baniter war nicht zu Scherzen aufgelegt. »Was ist hier geschehen? Wohin habt Ihr mich gebracht?« »In das alte Vara. Oder das zukünftige.« Sardreshs Mundwinkel zuckten. »Ich werde Euch alles zeigen. Die Größe meiner Entwürfe. Den Plan, an dem ich so lange mitwirken durfte.«
    Er humpelte Baniter voraus, und dieser folgte verunsichert. Die Straße, die sie einschlugen, bestand aus dicken, lichtdurchlässigen Glasplatten. Baniter konnte einen Blick auf eine tiefere Ebene erhaschen, eine unterirdische Halle, in der weitere Gebäude, weitere Straßenzüge und Treppen zu erkennen waren.
Diese Stadt kennt keine Begrenzung …
Nun kamen ihnen Menschen entgegen; auch ihre Augen waren aus Gold. Zudem fiel Baniter auf, daß sie keine Schatten besaßen; während sich sein Umriß - ebenso wie der des Baumeisters - auf der Straße abzeichnete, mied das Licht die Körper der anderen.
    »Dort, Baniter. Der Dom!« Sardresh war stehengeblieben. Am Ende der Straße

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