Schattenbrut (German Edition)
die Uhr sah, war es bereits kurz vor achtzehn Uhr. Rasch bezahlte sie und machte sich auf den Weg zurück in das Dorf, in dem Paula lebte. In der Einfahrt parkte ein dunkelblauer Renault Scenic mit zwei Aufklebern auf der Heckscheibe, auf denen Namen standen. Vivienne und Nicolas. Sie musste lachen, als ihr einfiel, dass Paula früher ihre Puppe Vivienne genannt hatte. Paula hatte sich ebenso wenig verändert wie Tamy und Clarissa, und vielleicht lag es an dieser Tatsache, dass Billy sich seit Langem einmal wieder fühlte, als sei sie gerade sechzehn Jahre alt. Stark und furchtlos.
Sie drückte auf die Klingel und setzte ihr süßestes Lächeln auf. Die Tür ging auf und ein Mann stand vor ihr. Mit seiner ockergelb gepunkteten Krawatte und den gegelten Haaren sah er aus wie der wichtigtuerische Filialleiter des Supermarktes, in dem sie einkaufte. Von wegen Prachtexemplar.
»Entschuldigen Sie die Störung.« Billy streckte dem Mann die Hand hin. Sein Händedruck fühlte sich an wie ein aufgeweichtes Brötchen.
»Mein Name ist Sibylle Thalheimer, und ich würde gerne zu Paula.«
Der Krawatten-Mann wollte sich gerade umdrehen, um seine Frau zu rufen, als Paula im Flur erschien. Sie trug teuer aussehende Jeans und dezentes Make-up, das ihre ohnehin großen Augen noch riesiger erscheinen ließ. Doch die Jahre hatten dem Puppengesicht das Glamouröse genommen und es zum Durchschnitt relativiert. Auf dem Arm hielt Paula das Baby, das jetzt sauber glänzte und seiner Mutter munter an den Haaren zog.
»Hallo Paula.« Billy hob die Hand zu einem Gruß und Paula starrte sie einen Moment lang ungläubig an. Dann formten sich ihre Züge zu einem angespannten Grinsen.
»Billy?«
»Richtig.« Billy schob den Mann sachte zur Seite, machte einige Schritte auf Paula zu und küsste sie auf die Wange. Dann streichelte sie dem Baby über den weichen Kopf und strahlte Paula an.
»Billy ...« Paula trat von einem Bein auf das andere. »Das ist wirklich eine Überraschung.«
»Ich war zufällig in der Gegend und dachte mir, dass ich unmöglich nach Hause fahren kann, ohne dich zu besuchen.«
Der Mann schloss die Tür, gesellte sich zu den beiden Frauen und musterte Billy unverhohlen.
»Äh, Remy, das ist Sibylle.« Paula wandte sich zu Billy. »Und das ist Remy, mein Mann.«
»Kommen Sie doch rein!«, bat Remy, doch Billy schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ich wollte nur kurz vorbeischauen. Ich war bereits vor einer Stunde hier, doch Paula war leider nicht da.«
Remy lachte. »Dienstags ist Paula immer in der Sauna.«
Billy riss überrascht die Augen auf. »Du gehst saunieren? Ich auch, mindestens einmal die Woche.« In Wirklichkeit wäre es ihr im Traum nicht eingefallen, sich splitternackt in einen dunklen Raum zu setzten und dabei zu schwitzen.
Paula lächelte gequält. »Wohnst du hier in der Gegend?«
»Nein, ich lebe in Emmendingen. Kennst du die tolle Sauna im LaOla-Bad? So eine große Anlage gibt es bei uns nicht.«
»Paula geht immer ins LaOla-Bad«, wandte Remy ein und sah aus, als wäre er stolz auf seine Bemerkung.
»Ist das wahr?«, fragte Billy begeistert, und Paula nickte.
»Das ist seltsam.« Billy runzelte die Stirn. »Ich wollte heute auch dorthin, aber das LaOla-Bad hatte wegen Renovierung geschlossen.«
Remy sah seine Frau erstaunt an und Paula zog nervös an den Hosen des Babys herum.
»Ja, stimmt«, gab sie rasch zurück. »Heute war geschlossen. Ich bin in die Therme von Bad Bergzabern gefahren. Die sind deutlich kleiner, und einen Pool gibt es dort auch nicht. Aber besser als nichts.«
Billy neigte den Kopf und starrte Paula an. Sie war bis jetzt nicht sicher gewesen, doch Paulas Reaktion sprach Bände.
»Das hattest du mir gar nicht erzählt.« Remy blinzelte und Paula sah ihn fest an.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit. Ist ja auch nicht wichtig, oder?«
»An die Therme hatte ich gar nicht gedacht«, fiel Billy ein. »Egal, dann muss ich wohl wieder mit der Emmendinger Sauna vorlieb nehmen.«
Paula wippte das Baby nervös hin und her, während Billy das unbehagliche Schweigen genoss.
»Was willst du«, fragte Paula schließlich.
»Ich will dir nur mitteilen, dass ich deine Kontaktaufnahme zur Kenntnis genommen habe und unser Verhältnis gerne auffrische, wenn du das möchtest.« Noch ein Strahlen für Remy.
Paula kniff ihre Augen zusammen, und Billy erkannte einen Funken alten Hasses darin. »Ich will keinen Kontakt.«
Remy zog hörbar die Luft ein. »Das ist aber nicht nett, Paula«,
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