Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenbrut (German Edition)

Schattenbrut (German Edition)

Titel: Schattenbrut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Seider
Vom Netzwerk:
was sich während ihrer Abwesenheit verändert hatte. Ein Mann  mit gegeltem Haar hatte sie zu einem Getränk einladen wollen, und nachdem Billy abgelehnt hatte, war der Mann aggressiv geworden und hatte sie beschimpft. Sie wurde jetzt noch wütend, als sie daran dachte. Kein Wort hatte sie diesem Dreckskerl entgegengeschleudert. Statt dessen hatte sie ihren Mantel geschnappt und war gegangen, während ihr der Kerl mit seinen Freunden hinterhergejohlt hatte. Verdammt, solch ein Publikum hatte es zu ihrer Zeit nicht gegeben. Sie beobachtete die jungen Männer aus den Augenwinkeln, als sie plötzlich Orens hochgeschossene Gestalt auf der Türschwelle erblickte. Er sah sich um. Adrenalin schoss durch ihren Körper und ihre Hand fühlte sich an, als sei sie aus Watte, als sie ihm winkte. Wie vor zwei Tagen trug er seinen schwarzen Ledermantel, dazu weite Jeans und Turnschuhe. Seine gerade Haltung drückte Selbstvertrauen aus, doch da war noch etwas anderes an ihm. Etwas Ängstliches.
    Er blieb vor ihrem Tisch stehen und Billy stand auf, um ihm die Hand zu geben. Ihr Hals war trocken und anstatt zu sprechen, zeigte sie nur auf den Stuhl gegenüber.
    Er hängte seinen Mantel über die Stuhllehne und setzte sich, auch Billy ließ sich wieder fallen. Ihre Bewegungen fühlten sich steif an und sie war froh, dass Orens Aufmerksamkeit von der Kellnerin angezogen wurde, die ihr Bier brachte.
    »Sie haben Geschmack«, grinste Oren nervös und bestellte sich dasselbe. Die Kellnerin warf ihm ein Lächeln zu und rauschte davon.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte Billy.
    Er nickte leicht. Das trübe Licht von draußen reflektierte aus seinen Augen und traf etwas Verborgenes in ihr. Etwas schien sich aufzulösen, hervorzuquellen. Bevor sie es verhindern konnte, verschleierten Tränen ihren Blick. Erschrocken legte er seine Hand auf ihre und zog sie sofort wieder zurück. Schnell wischte sich Billy mit dem Handrücken über die Augen und lächelte beschämt.
    »Bitte entschuldigen Sie mein Verhalten. Es ist nur ...« Sie stockte und suchte nach den richtigen Worten, doch sie fand nichts, was das, das sie zu sagen hatte, schonend verpacken würde. »Ich sah Ihr Geburtsdatum auf der Akte. Und Sie sagten, dass Sie von Ihren Eltern adoptiert wurden.«
    Etwas in seinen Augen veränderte sich und hinderte sie daran, weiterzusprechen. Sie wollte ihren Blick abwenden, konnte es aber nicht.
    »Sie haben ein Kind?«, fragte er rau.
    Sie nickte.
    »Wann ist es geboren? Ich meine, welche Uhrzeit?« Er klang lauernd und sie presste die Arme an ihren Oberkörper, ohne ein Wort herauszubringen.
    »Um zehn Minuten nach sechs am Morgen?«, hakte er nach und seine Stimme klang unnatürlich laut.
    Ihr Magen zog sich zusammen. Ihre Backenzähne rieben aneinander, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    In diesem Moment brachte die Kellnerin Orens Bier und berührte dabei wie zufällig mit ihrer Hüfte seine Schultern. Billy sah es, ohne es wirklich wahrzunehmen. Ihr Sehfeld bestand nur noch aus diesem jungen Mann mit den gescheitelten Haaren und den schimmernden Augen.
    Er stieß leise die Luft durch seine Nase, dann sackten seine Schultern herunter. Plötzlich sah er schrecklich hilflos aus. Billy erwachte aus ihrer Starre und ergriff seine Hand. Er zog sie zurück.
    »Es tut mir so leid«, sagte sie nur und meinte damit nicht nur ihren Überfall, sondern die letzten neunzehn Jahre, fünf Monate und neun Tage.
    »Es ist okay«, sagte er matt.
    Sie spürte heiße Tränen in ihren Augen. »Nein, es ist nicht okay.«
    »Doch.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Ich habe gewusst, dass es irgendwann passieren würde.«
    Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass es überhaupt nicht okay war. Dass sie ihn überfordert hatte.
    »Und ich bin erleichtert«, fügte er hinzu.
    »Was?«
    »Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wer meine leibliche Mutter ist. Doch größer als die Neugier war die Angst.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wie immer meine Mutter ist, ich habe einen Teil davon in mir.« Er verzog seine Mundwinkel zu einem Grinsen, das seine Augen nicht erreichte »Und ich habe Schlimmeres erwartet.«
    »Oh.« Mehr konnte sie nicht sagen.
    Vor ihr saß Loic. Obwohl sie es geahnt hatte, seit sie am Morgen das Geburtsdatum gelesen hatte, und obwohl sie es wusste, seit er die exakte Zeit genannt hatte, so überfiel sie erst in diesem Augenblick die Erkenntnis. Sie hatte tatsächlich Loic gefunden. Und es war, als würde dieser

Weitere Kostenlose Bücher