Schattenbrut (German Edition)
danach.
»Hier ist Clarissa«, meldete sich eine vertraute Stimme. Billy lächelte unwillkürlich. »Schön, dass du dich meldest.«
»Meinst du das ernst?«, fragte Clarissa, und man konnte hören, dass sie sich freute. «Ich hatte den Eindruck, dass du noch immer keinen Kontakt möchtest.«
»Weil ich nach der Beerdigung so schnell gegangen bin?«
»Auch.«
Billy lachte. »Nein, das hast du falsch gesehen. Ich freue mich wirklich.«
»Es gibt einen Grund für meinen Anruf.« Clarissa klang, als würde sie überlegen. »Können wir uns treffen?«
»Ist alles Okay?«
»Ja ...Nein ...Ich muss persönlich mit dir sprechen. Hast du heute Abend Zeit?«
»Ja.«
»Kann ich zu dir kommen?«
Ein Abend mit Clarissa war verlockend. »Wir können uns auch in der Mitte treffen. Zum Beispiel in Offenburg«, schlug sie vor.
»Ist schon okay. Wann hast du Feierabend?«
Billy warf einen Blick auf ihren Kalender, in dem der heutige Tag aufgeschlagen vor ihr lag. Keine Termine, keine drängenden Wiedervorlagen. »Gegen achtzehn Uhr.«
»Ich bin um neunzehn Uhr bei dir.« Clarissas Stimme hatte etwas Hektisches, das Billy beunruhigte.
»Bis heute Abend«, sagte sie. »Ich freue mich auf dich.«
Doch Clarissa hatte bereits aufgelegt. Sie drückte ihr Handy aus und legte es neben sich. Dann griff sie nach einem Ordner und schlug ihn vor sich auf. Mühsam las sie die ersten Zeilen eines gegnerischen Anwalts und versuchte, sich den Fall in Erinnerung zu rufen, aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie las den Absatz zwei weitere Male, dann den kompletten Schriftsatz. Nach einer Weile hatte sie die Gedanken an Oren und Clarissa so weit zurückgeschoben, dass sie sogar Ulrichs Angebot auf ein gemeinsames Mittagessen ausschlug und bis kurz vor siebzehn Uhr durcharbeitete.
Der Regen hatte aufgehört, doch sie war trotzdem froh, das Auto genommen zu haben, als sie durch tiefe Pfützen fuhr. Im Supermarkt kaufte sie rasch Zutaten für eine Lasagne und einen Salat.
Zu Hause breitete sie die Einkäufe auf der Arbeitsplatte aus, öffnete eine Flasche Riesling und schenkte ein. Im Stehen nahm sie einen ausgiebigen Schluck aus dem Glas und setzte sich an den Küchentisch. Clarissa hatte am Telefon unruhig geklungen, und Billy fragte sich, was es so Dringendes gab, das man nur unter vier Augen besprechen konnte. Sie trank das Glas mit einem zweiten Zug leer und spürte, wie sich die Wärme in ihrem Körper ausbreitete. In ihrem Kopf herrschte eine seltsame Ruhe, eine Ruhe, die etwas ankündigte und sie zu betäuben schien. Lustlos sah sie auf die Lebensmittel. Während ihrer Ehe hatte sie fast täglich gekocht, dennoch hatte sie es nie gerne getan, und heute fiel es ihr noch schwerer, sich dazu aufzuraffen. Doch sie wollte Clarissa wenigstens etwas anbieten. Mühsam stand sie auf, packte die Zutaten aus der Tüte und begann, den Salat zu waschen.
Boris, ihr Ex-Mann, hatte nie von ihr erwartet, dass sie kochte, auch wenn er sich durchaus gefreut hatte. Nein, sie selbst war der Überzeugung gewesen, dass man als Ehefrau hinter dem Herd stehen müsse. Es hatte so vieles gegeben, dass sie getan hatte, weil sie meinte, dass es sich so gehörte. Als könne sie damit die Schuld wegwaschen, die sie gegenüber ihrem Sohn fühlte.
Und gegenüber Frank.
Und als könne sie vermeiden, jemals wieder jemanden zu verletzen, indem sie sich einfach an ein paar Regeln hielt.
Doch ihr Sohn war in ihrer Nähe und sie hatte eine neue Chance bekommen.
Und Frank war tot.
Höchste Zeit, die Fesseln der Jugend zu sprengen. Energisch schüttelte sie den Kopf, um die lästigen Erinnerungen zu verjagen. Während sie frische Petersilie in kleine Stücke hackte, wurde ihr Kopf klarer, und als das Hackfleisch in der Pfanne briet, waren alle Sorgen vergessen und sie freute sich nur noch auf einen Abend mit Clarissa. Schließlich stellte sie die Lasagne in den Backofen, nahm sich noch ein Glas Wein und setzte sich zurück an den Tisch. Clarissa konnte jede Minute kommen. Ob auch sie noch Schuldgefühle plagten? Billy hatte gestern nicht den Eindruck gehabt, aber Clarissa hatte damals zumindest versucht, Billy von ihrem Vorhaben abzubringen, während Julias Wangen vor Begeisterung über Billys Idee geglüht hatten. Tamy war zwar nicht Feuer und Flamme gewesen, doch auch sie hatte mitgemacht. Niemals hätte sie widersprochen.
JudenpimmelJudenpimmel
Da waren sie wieder, die leidlichen Erinnerungen. Billy schloss die Augen und blieb einen Moment so
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