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Schattenbrut (German Edition)

Schattenbrut (German Edition)

Titel: Schattenbrut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Seider
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Spaziergang?«
    Ursula warf einen Blick in die Küche. »Das Essen ist fertig. Hast du keinen Hunger?«
    »In einer halben Stunde wird es dunkel. Wenn es für dich okay ist, essen wir danach.«
    »Gut. Dann warte kurz.« Ursula ging in die Küche, stellte den Herd aus, hängte die Schürze sorgfältig an die Tür und holte einen Mantel aus der Garderobe. »Hast du etwas von Oren gehört?«, fragte sie, während sie die Terrasse verließen und um das Haus herum liefen.
    »Er hat sich gemeldet. Es geht ihm gut.« Das schlechte Gewissen zwickte sie. Aber Ursula würde gleich genug zu verdauen haben.
    Hinter der abschüssigen Wiese führte ein schmaler Pfad in den Wald hinein, der schon jetzt in den ersten Dämmerstrahlen düster wirkte.
    »Oren ist ein fantastischer, junger Mann«, sagte Ursula. »Ich finde, dass er dir sehr ähnlich ist.«
    Billy hörte nicht hin. Sie überlegte, wie sie anfangen sollte.
    »Beschäftigt dich etwas?«, fragte Ursula, als könnte sie Billys Gedanken erraten.
    »Hmm«, brummte Billy und suchte noch immer nach einer Einleitung. Im Gehen kickte sie einen faustgroßen Stein zur Seite.
    »Schieß los.«
    »Kannst du dich noch an Frank Himmel erinnern?«
    »Das war doch der Junge, der sich mit der Waffe seines Vaters erschossen hat.«
    »Genau.« Sie atmete tief ein. »Und ich war schuld daran.« Billy starrte stur auf den Waldboden, der mit einer Schicht aus nassem Laub bedeckt war. Sie spürte Ursulas Blicke, sie konnte sich den erschrockenen Ausdruck in ihrem Gesicht vorstellen, aber sie sah nicht hin. »Es war wegen Paula«, fuhr sie fort, während sie weiter nach unten starrte. Ohne Umschweife erzählte sie die komplette Geschichte. Von den erfolglosen Versuchen, Frank gegen Paula aufzubringen, der Szene in der Toilette und der Erpressung. »Als Frank am nächsten Tag nicht in die Schule kam, dachten wir, er würde sich wegen dem Bild verstecken. Erst später erfuhren wir von den Lehrern, was wirklich geschehen war.« Behutsam wich Billy einer Nacktschnecke aus, die prall und glänzend mitten auf dem Weg lag, und hörte das schwere Atmen ihrer Mutter.
    »Deswegen hat er sich umgebracht?«, brach Ursula das Schweigen.
    »Ja.«
    »Nun wird mir einiges klar.«
    Billy musterte ihre Mutter. Wieder Erwarten konnte sie keine Spur von Abscheu in deren Gesicht erkennen, im Gegenteil, ihre Mutter strahlte eine eigenartige Ruhe aus.
    »Du hast dich damals verändert. Am Anfang schob ich es auf die Schwangerschaft, aber später wurde mir klar, dass es schon früher begonnen hatte.«
    »Was meinst du?«, fragte Billy.
    Ursula kräuselte ihre Lippen, etwas, das sie immer tat, wenn sie nachdachte. »Du warst früher extrem selbstbewusst. Zu selbstbewusst, dachte ich oft. Niemand konnte dich von deinen Ideen abbringen, und wenn man es versucht hat, dann hast du dich mit aggressiver Vehemenz dagegen gewehrt. Aber plötzlich wurdest du scheu. Unsicher. Ängstlich.«
    Billy presste ihre Lippen zusammen.
    »Die Sache mit Till fand ich schon damals seltsam. Ich hatte den Eindruck, dass du nur aus Mitleid mit ihm zusammengeblieben bist«, sagte Ursula mit warmer Stimme.
    Billy biss so fest auf ihre Unterlippe, dass es wehtat.
    »Das war es also, was aus meiner zornigen Billy eine Frau gemacht hat, die es jedem recht machen will«, stellte Ursula fest.
    Billy hob wütend ihren Kopf. »So ist das nicht. Ich wollte es noch nie jedem recht machen!«
    »Nur jenen, die du hättest verletzen können«, gab Ursula mit fester Stimme zurück. Billy wollte erneut protestieren, aber sie wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Das schlechte Gewissen, die Angst, Menschen zu zerstören, war seither ein Teil von ihr geworden, und nur vor Gericht war sie noch kämpferisch.
    »Aber ich bin noch nicht fertig«, wandte Billy ein und erzählte Ursula mit monotoner Stimme von den jüngsten Ereignissen. Dem Kranz auf Julias Beerdigung, dem Mord an Clarissa, dem Text, den irgendjemand Clarissa und Tamy geschickt hatte. Sie erwähnte auch ihre Besuche bei Paula und der Familie von Frank. »Deshalb musste ich heute früh weg. Ich wollte mit Franks Mutter sprechen, ich musste wissen, ob sie die Wahrheit kennt«, beendete sie schließlich ihren Bericht. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Ursula hinter ihr zurückblieb. Sie blieb stehen und wandte sich um. Ursulas Gesicht hatte eine aschfahle Farbe angenommen. Billy hätte gerne etwas gesagt, was ihrer Mutter die Angst nehmen würde. Aber sie stand nur stumm im herbstlichen Wald und fühlte

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