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Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn

Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn

Titel: Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.A. Salvatore
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stürmen und ihn erdolchen. Körperlich wie gelähmt näherte er sich immer mehr der schmalen Öffnung und versuchte, insgeheim darauf hoffend, einen Blick ins Jenseits, in das Reich des Todes werfen zu können, durch sie hindurch zu schauen.
    Er ging noch ein Stück näher heran, sodass die Öffnung noch ein wenig weiter wurde, und riskierte einen Blick.
    Er riskierte einen Blick – und ließ sich von seiner Neugier fast blindlings in den verlockenden und gefährlichen Tunnel ziehen.
    Schließlich löste er sich von seinem Körper – scheinbar ganz plötzlich, obwohl in Wirklichkeit über eine Stunde vergangen war –, stand auf der anderen Seite des Lagerfeuers und starrte auf seine reglos dasitzende Körperhülle.
    Als sich der erste Schreck gelegt hatte, merkte Aydrian, dass er jederzeit nach Belieben in seinen Körper zurückkehren konnte. Er sah den Weg geradezu vor sich, ein glühender, winziger Punkt in der dunklen Welt des Geistes. Dort befand sich der Hämatit, der ihm das Tor aufhielt, und die Gewissheit, jederzeit umkehren zu können, ließ Aydrians Ängstlichkeit allmählich schwinden. Kurz darauf kehrte er seiner Körperhülle den Rücken zu und betrachtete seine Umgebung mit den Augen des Geistes. Seine Angst war wie verflogen; er fühlte sich frei, freier als er es jemals für möglich gehalten hätte. Er fragte sich, warum ihm die Touel’alfar diesen Aspekt des Hämatits niemals offenbart hatten. Vielleicht kannten sie ihn selber nicht, oder Lady Dasslerond hatte Angst gehabt, ihm diese Kraft zu zeigen, weil sie befürchtete, er könnte mit ihrer Hilfe aus dem Tal fliehen und sich damit ihrer Kontrolle entziehen.
    Denn instinktiv war ihm sofort klar, dass er fliegen konnte; sein Geist konnte auf der abendlichen Brise oder auch aus eigenem Antrieb hinauf in die Lüfte steigen. Er probierte es aus, umrundete in weitem Bogen den kleinen Hügel, sah und spürte auf diesem kleinen Ausflug den Geist sämtlicher Tiere der näheren Umgebung, spürte ihre schiere Lebensenergie – ein verblüffendes Gefühl erweiterter Wahrnehmung, das den jungen Aydrian in absolute Verzückung versetzte.
    Und ihn auf einen Gedanken brachte.
    Er schwebte davon, sah mit den Augen seines Geistes, fühlte mit dem Empfindungsvermögen seines Geistes. Alles Leben um ihn herum – die Bäume, das Gras und die Tiere – hinterließ bei ihm seine Spuren, und schon bald vermochte Aydrian selbst die feinen Abstufungen in den Arten des Geistes zu unterscheiden. Bereits wenige Minuten nach Beginn seiner geistigen Wanderschaft konnte Aydrian zwischen einem Eichhörnchen und einem Reh unterscheiden, ohne die Tiere überhaupt zu sehen.
    Allein kraft eines einzigen Gedankens legte er gewaltige Strecken zurück. Er wanderte mitten durch Roadapple, wo trotz der späten Stunde noch immer ein paar Wachposten auf den Beinen waren. In diesem Augenblick lernte Aydrian einen weniger schönen Aspekt seiner geistigen Wanderung kennen; er verspürte den ebenso plötzlichen wie unkontrollierbaren Drang, in eine dieser Körperhüllen einzudringen, den Geist des Betreffenden zu vertreiben und dessen Körper für sich zu beanspruchen. Um ein Haar hätte er es sogar getan; er wusste, dass er nur auf geringen Widerstand stoßen würde, war aber klug genug, sich zu beherrschen und der Versuchung zu widerstehen, denn ihm fiel ein, dass der vertriebene Geist früher oder später in seinen Körper zurückkehren und die Inbesitznahme vielleicht noch so gut in Erinnerung haben würde, dass er den Eindringling identifizieren konnte. Und das entsprach nicht dem Ruf, den Nachtfalke sich im Grenzland verdienen wollte.
    Das dringende Bedürfnis, den Ort der Versuchung weit hinter sich zu lassen, drängte ihn, das Dorf eilends zu verlassen, denn bei aller Hartnäckigkeit und allem Selbstbewusstsein – Aydrian spürte, dass er hier ernsthaft in Gefahr geraten konnte.
    Eine volle Stunde schwebte Aydrians Geist noch durch die Wälder rings um Roadapple – er glaubte schon, es sei an der Zeit, in seinen Körper zurückzukehren –, als er den Lichtschein eines fernen Lagerfeuers sah, die Ausdünstungen menschlichen Lebens witterte und eine sogar noch stärkere geistige Wahrnehmung empfing.
    Ungeduldig schwebte er heran und ließ sich in den Baumwipfeln oberhalb des kleinen Lagerplatzes nieder. Er sah fünf schmutzige, unrasierte Männer und zwei ebenso verwahrlost wirkende Frauen, denen er jedoch kaum Beachtung schenkte, denn dort, an einen Baum gelehnt, bot sich ihm

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