Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
Danube durchaus freundlich.
»Vielleicht war es der Mangel an Diplomatie, der Euch verwirrt hat, mein König«, erwiderte Braumin, der sah, dass Meister Bou-raiy sich nun entspannt zurücklehnte. Die Unterredung mit Danube dauerte jetzt schon fast eine Stunde, und noch immer hatten sie – bis zu diesem Augenblick – keine Bewegung bei Danube erkennen können. »Denn wir sind hergekommen, um ganz einfach die Wahrheit zu sagen«, fuhr Braumin fort, »und Euch eine Gelegenheit zu bieten, die letztendlich uns beiden nützen wird, denn sie ist für die Bevölkerung von Palmaris und ganz Ursal von Vorteil.«
»Und wie lange wird diese … Situation des zweiten Bischofs erwartungsgemäß andauern?«, wollte der König wissen und forderte Braumin mit einer ungeduldigen Handbewegung auf fortzufahren.
»So lange Jilseponie dies wünscht«, erwiderte der Abt von St. Precious. »Vielleicht bis sie die Möglichkeit erhält, einen anderen Titel in einer weiter südlich gelegenen Stadt anzunehmen.«
Im Nu hatte sich König Danube kerzengerade aufgerichtet, und auch Meister Bou-raiy beugte sich vor, beide offenbar verblüfft über die Dreistigkeit des Abts.
»Was wisst Ihr davon?«, herrschte der König ihn an.
»Nicht mehr als die Gerüchte, die jeder Mann und jede Frau in Palmaris sich seit mehr als zwei Jahren hinter vorgehaltener Hand erzählen«, antwortete der Abt amüsiert.
»Und habt Ihr schon mit Jilseponie über diese … Angelegenheit gesprochen?«, fragte der König, dessen Stimme erste Anzeichen von Unsicherheit verriet.
»Hat er nicht!«, warf Fio Bou-raiy ein, und Braumin musste sich auf die Lippe beißen, um nicht loszulachen über das ehrliche Entsetzen in der Stimme des Meisters. Bou-raiy befürchtete, Braumin könnte ein wenig zu keck auftreten und den König gegen sich aufbringen. Eine berechtigte Befürchtung, wie Braumin zugeben musste, nur dass er den Ausdruck in Danubes Augen anders deutete. Sicher, er war der König, ein vortrefflicher und tapferer Herrscher, aber er war auch ein Mann, und Jilseponie hatte ihm das Herz gestohlen. Somit war König Danube ein verwundbarer Mann.
»Sollte ich mit ihr über gewisse Dinge gesprochen haben, kann ich Euch aus verständlichen Gründen nichts davon erzählen, mein König«, erwiderte Braumin. »Jilseponie Wyndon ist meine liebste Freundin, und ich möchte ihr Vertrauen nicht missbrauchen.«
König Danube setzte zu einer gestammelten Erwiderung an, doch Braumin fiel ihm ins Wort.
»Aber seid versichert, mein König, wüsste ich genau, dass sie Euren Antrag ablehnen wird, würde ich Euch um Eures Rufes und der Gefühle meiner Freundin willen ganz offen und unter vier Augen davon unterrichten«, erklärte der Abt.
»Dann wisst Ihr also, dass sie es nicht tun wird«, folgerte König Danube.
Abt Braumin zuckte mit den Achseln. »Ich denke, sie ist unsicher«, erklärte er. »Aber ich kann Euch versichern, dass sie nichts als Zärtlichkeit und Respekt für Euch empfindet.«
»Und Liebe?«, fragte der König.
Wieder zuckte Braumin mit den Achseln, doch da er dazu herzlich lächelte, schien König Danube sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben.
»Dann werde ich ihr das Amt der Bischöfin anbieten«, entschied Danube nach kurzer, stiller Überlegung. Mit einem verschmitzten Ausdruck fuhr er fort: »Wir werden ja sehen, wie lange der Titel Bestand hat.«
Gleich nachdem sie sich von König Danube verabschiedet hatten, fiel Meister Bou-raiy aufgebracht über Braumin her. »Man wird mit dem König des Bärenreiches nicht vertraulich.«
»Hier geht es nicht um Politik, Meister Bou-raiy«, erwiderte Abt Braumin gelassen. »Hier geht es um die Zukunft meiner liebsten Freundin. Ich habe nicht die Absicht, ihr Glück Eurer erfolgreichen Wahl zum Nachfolger Abt Agronguerres zu opfern. Und seid gewarnt: Wie immer die Geschichte ausgehen mag, Jilseponie wird sich im nächsten Abtkollegium Gehör verschaffen, und das Gleiche gilt auch für den Abt von St. Precious gegenüber Jilseponie.«
Das ließ Bou-raiy stutzen; er hatte nicht damit gerechnet, dass Braumin seinen eigenen Plan gegen ihn kehren würde.
Braumin blieb stehen, wandte sich um und sah dem strengen Mann direkt ins Gesicht. »Ich stimme dem ebenso zu wie Jilseponie, weil es das Richtige ist«, erklärte er. »Ich wollte sehen, ob König Danube bereit ist, aus den gleichen Gründen einzuwilligen, denn Jilseponie sollte wissen, wie er in diesem Punkt empfindet. Daher bin ich, könnte man sagen, ein
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