Schattenelf - 2 - Das Turnier
wenigstens Weggefährte – Abt Olin ihn nach all den Jahren empfangen würde.
»Er wird mich ganz bestimmt empfangen«, beharrte De’Unnero gegenüber den beiden Ordensbrüdern, die an den Toren von St. Bondabruce, der größeren der beiden Abteien in Entel, Wache standen.
»Guter Mann«, erwiderte einer der jungen Ordensbrüder mit seinem unverkennbar südlichen Akzent, bei dem das Wort »gut« eher wie »guhd« klang. »Es ist nicht mehr Abt Olins Gewohnheit, Besucher persönlich zu empfangen. Es steht Euch frei, einzutreten und zu beten – unsere Tore stehen jederzeit offen – und wenn Ihr am Abendgottesdienst teilnehmt, bekommt Ihr den ehrwürdigen Abt, so er uns heute Abend mit seiner Anwesenheit beehrt, vielleicht sogar kurz zu sehen.«
»Meldet mich«, verlangte De’Unnero, der große Mühe hatte, wenigstens nach außen hin ruhig zu bleiben. »Sagt ihm, ein alter Freund, ein früherer Meister aus St. Mere-Abelle, sei hier und wünsche ihn zu sprechen. Er wird mich mit Sicherheit empfangen.«
Die beiden Ordensbrüder wechselten einen Blick; ihre Skepsis war nicht zu übersehen. »Die einzigen mir bekannten ehemaligen Meister aus St. Mere-Abelle sind Vater Bou-raiy, Abt Glendenhook von St. Gwendolyn sowie Abt Tengemen von St. Donnybar. Ganz offensichtlich seid Ihr nicht Vater Bou-raiy und auch nicht Glendenhook, der uns bereits einmal besuchte. Bleibt also Abt Tengemen; nun hat man mir allerdings erzählt, dass der Mann auf seinen Siebzigsten zugeht. Ich bitte Euch also, erspart mir weitere Albernheiten.«
Unvermittelt machte De’Unnero einen Schritt nach vorn, packte den verdutzten Ordensbruder und flüsterte ihm ungehalten ins Ohr: »Richtet Abt Olin aus, dass Marcalo De’Unnero hier ist und ihn zu sprechen wünscht.«
Der Ordensbruder riss sich los und trat, De’Unnero entsetzt anstarrend, einen Schritt zurück. Seinem Gesicht war anzusehen, dass ihm der Name nicht völlig unbekannt war.
»Er wird mich sicher sprechen wollen«, sagte De’Unnero, und als der jüngere Ordensbruder keinerlei Anstalten machte, sich von der Stelle zu rühren, fixierte er ihn mit einem drohenden Blick. »Wenn Ihr zu Abt Olin geht und er mir eine Audienz verweigert, habt Ihr Euch nichts zuschulden kommen lassen. Geht Ihr aber nicht und er erfährt später, dass man einen alten Freund und Bruder abgewiesen hat, ohne ihm auch nur die Gelegenheit zu geben, ihn zu sehen …« Er ließ den Satz unbeendet.
Der verwirrte Ordensbruder sah zu seinem Gefährten, und als dieser nickte, verschwand er in der Abtei. Einige Augenblicke später kam er, sichtlich erregt, zurück. »Knöpft Eure Jacke auf«, wies er De’Unnero an. »Wenn Ihr wirklich der seid, der Ihr zu sein vorgebt …«
»Dann sollte ich Euch diese Narbe zeigen«, antwortete De’Unnero und zog die beiden Hälften seines Hemdes auseinander. »Von einer Wunde, die ich beim Überfall der Pauris auf St. Mere-Abelle erhielt.«
Und tatsächlich, die Narben dieses Kampfes von vor so langer Zeit waren noch zu sehen. Der junge Ordensbruder verbeugte sich und bedeutete De’Unnero, ihm zu folgen.
»Wisst Ihr nicht genug über die Geschichte von Marcalo De’Unnero, um meine Identität zu prüfen, bevor Ihr zu Abt Olin geht?«, fragte ihn De’Unnero, und als der Ordensbruder daraufhin nur mit den Achseln zuckte und seinen Weg fortsetzte, packte De’Unnero ihn an der Schulter, so dass er stehen bleiben musste, und riss ihn herum.
»Wie alt seid Ihr?«, fuhr er ihn herrisch an.
»Zweiundzwanzig«, antwortete der Ordensbruder.
»So lange ist das noch nicht her«, sagte De’Unnero mit einem unverkennbar gekränkten Unterton in der Stimme. Sich vorzustellen, dass er und jene ungeheuerlichen Ereignisse, die das heutige Königreich geprägt hatten, so leicht in Vergessenheit geraten konnten! Noch dazu bei einem Bruder des Abellikaner-Ordens, der Kirche, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Andenken an die geschichtlichen Ereignisse zu bewahren!
Der junge Ordensbruder, offenbar völlig verunsichert, wie er darauf reagieren sollte, starrte ihn aus großen Augen an.
»Bringt mich jetzt endlich zu Abt Olin«, sagte De’Unnero entschieden und geradezu angewidert.
Als er Olins privates Audienzzimmer betrat, erkannte er den Mann kaum wieder; noch ein Umstand, der ihn in aller Bitterkeit daran erinnerte, dass seit ihren gemeinsamen Schlachten, seit jenen Zeiten, als Markwart versucht hatte, den Abellikaner-Orden zu neuen und größeren Höhen zu führen, nur um von
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