Schattenelf - 2 - Das Turnier
Marcalo De’Unnero machte den Eindruck, als sei er in jeder Hinsicht ebenso Herr der Lage wie damals in seinen ruhmreichen Zeiten in der Abtei St. Mere-Abelle, nur dass er sein braunes Mönchsgewand längst abgelegt und gegen die elegante Kleidung eines reichen Landbesitzers eingetauscht hatte. Dazu trug er eine edelsteinbesetzte Augenklappe, die sein rechtes Auge verdeckte, und ziemlich auffallenden Schmuck: einen langen Diamantohrring, sowie eine Lippenkappe, eine kleine goldene Spange, die sich eng um seine halbe Oberlippe schmiegte – in diesem Jahr der letzte Schrei bei den Reichen von Ursal.
De’Unnero fand Schmuck und Augenklappe geradezu abscheulich, und obwohl er den Adligen aus Ursal, darunter auch Herzog Jargon Bree Kalas, seit mehr als zehn Jahren nicht begegnet war, war er sich darüber im Klaren, dass er sich äußerlich nicht sehr verändert hatte und er dafür sorgen musste, dass ihn niemand wiedererkannte.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Aufgabe als nicht übermäßig schwer erwiesen. Ein prall gefüllter Beutel mit Edelsteinen an der richtigen Stelle hatte ihm jene Tarnung verschafft, die er benötigte, um die Stadt betreten zu können. In seiner Verkleidung war er Brutus von Oredale, ein durchreisender Freund des Grafen von Fenwicke, einer kleinen, aber wohlhabenden Region tief im Süden der Grafschaft Yorkey. Brutus von Oredale reiste in Begleitung seiner bezaubernden jungen Frau und ihres bäuerlichen Knappen.
De’Unnero und Sadye waren gerade mal zwei Wochen in der Stadt, als sie bereits an ihrem ersten der wöchentlich stattfindenden Bälle teilnahmen. König Danube befand sich zu dieser Zeit noch auf dem Weg nach Palmaris, daher musste sich De’Unnero diesem Test vorläufig noch nicht unterziehen. Und was den anderen Test betraf … er verbrachte den halben Abend unbekümmert plaudernd mit Herzog Kalas, ohne dass dieser seine wahre Identität auch nur zu erahnen schien.
Als das Paar in seine großzügigen Gemächer zurückkehrte, machte die lachende und über das ganze Gesicht grinsende Sadye einen geradezu berauschten Eindruck.
»Was ist?«, fragte Aydrian sie, kaum dass sie hereingekommen war, woraufhin sie in schallendes Gelächter ausbrach.
»Ein bisschen zu viel Elfentrester«, erklärte De’Unnero.
»Ach was, stimmt doch gar nicht«, fiel sie ihm leicht lallend ins Wort. »Es ist die freudige Erwartung, die mich so berauscht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, Aydrian, wie prachtvoll es am Hof zugeht. Was werden wir bald für ein Leben führen!«
Aydrian sah sie fragend an, blickte dann zu De’Unnero hinüber, der ebenfalls gegen seinen Willen grinste.
»Dieser Teil unseres Plans ist reibungsloser verlaufen, als ich mir jemals hätte vorstellen können«, erklärte er.
»Noch weiß der König nichts von Eurem Hiersein«, erinnerte ihn Aydrian. »Und auch Jilseponie nicht.«
»Bis zu Danubes Rückkehr werde ich mich beim Adel so gut eingeführt haben, dass er nicht einmal mehr auf die Idee kommen wird, meine Person in Frage zu stellen«, erklärte De’Unnero.
»Und wenn diese Frau zusammen mit ihm zurückkehrt?«, gab Sadye zu bedenken, und eine dunkle Wolke legte sich über ihr und De’Unneros Gesicht.
»Wir werden sehen«, erwiderte der ehemalige Mönch grimmig. »Unser Plan entwickelt sich hervorragend. Alles steht bereit: die Truppen, die Waffen, die Olin treu ergebenen abellikanischen Ordensbrüder. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, werden wir losschlagen.«
»Wann?«, fragte Aydrian.
De’Unnero brauchte an das Wort, an die unbeantwortbare Frage, nur zu denken, um schlagartig wieder ruhig zu werden. Ständig redete er von einem Plan, so als sei alles niedergeschrieben und festgelegt, in Wahrheit aber wusste er, dass er und seine Gefährten derzeit nur improvisierten und auf eine Gelegenheit lauerten, endlich losschlagen zu können und Aydrians Anliegen öffentlich zu machen. Selbst unter günstigsten Umständen, wie Marcalo De’Unnero nur zu gut wusste, würde dies zu einem Konflikt und sehr wahrscheinlich zum Bürgerkrieg führen.
Dank ihres beispiellosen Reichtums und Olins unermüdlicher Bestrebungen, nicht nur die Kirche, sondern auch die Truppen der Krone zu unterwandern, würden sie auch darauf vorbereitet sein.
»Nein, nein, nein!«, schrie die abgehärmte Frau, deren ehemals blondes Haar inzwischen größtenteils von Grau durchsetzt war, und schleuderte den Krug, den sie eben noch in der Hand gehalten hatte, gegen die Wand, wo er in
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