Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
murmelte Tsolona. Sie kam näher und legte Brynn die Hand auf den Arm, wie sie es kurz zuvor bei Barachuk getan hatte.
Brynn zuckte mit den Achseln. Sie war fest entschlossen, ihren unnachgiebigen Gesichtsausdruck und ihre aufrechte Haltung beizubehalten und diese grauenhaften Bilder nicht wieder hochkommen zu lassen. Dies war nicht der Ort, Schwäche zu zeigen, nicht der rechte Zeitpunkt, ihren Schmerz in etwas anderes als gärende Wut und Entschlossenheit umzuwandeln, Dinge, aus denen sie die Kraft für ihre Mission schöpfte.
»Ich bin gleich am nächsten Morgen allein aufgebrochen«, erklärte Brynn. »Ich weiß so gut wie nichts über diesen Stamm – zieht er noch immer durch die Steppe?«
»Ich könnte mir denken, dass sie mittlerweile in einem Dorf, ganz ähnlich dem unseren, leben«, sagte Tsolona.
»Kaum einer lebt noch nach den alten Sitten«, fügte Barachuk hinzu. »To-gai hat sich sehr verändert.«
»Es ist zivilisierter geworden«, erklärte Tsolona mit unverkennbarer Trauer in ihrer energischen Stimme.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort und kamen kurz darauf bei ihrem kleinen und unauffälligen Haus an. Barachuk wartete, bis sie es sich bequem gemacht hatten, bevor er nachhakte. »Und wie hast du überlebt? Welcher Stamm hat dich aufgenommen? Wohnen diese Leute noch immer hoch oben in den Ausläufern des Gebirges?«
Der Tonfall seiner letzten Frage und das Funkeln in seinen dunklen Augen zeigten Brynn, wie empfindlich Barachuk auf dieses spezielle Thema reagierte; spätestens jetzt wusste sie, dass sie sich unter Verbündeten befand, unter To-gai-ru, die sich nach der alten Lebensweise aus der Zeit vor dem Erscheinen der verhassten Behreneser sehnten. Die Erkenntnis war gepaart mit einer gewissen Erleichterung; obwohl sich Brynn nicht recht vorstellen konnte, dass viele Menschen ihres Volkes in gerade mal zehn Jahren ihre Identität aufgegeben hatten, hatte sie genau das befürchtet.
»Ich habe bei gar keinem Stamm gelebt«, gestand Brynn. »Ich war nicht einmal in To-gai. Ich bin durch das Gebiet nördlich der Berge gewandert.«
Jetzt machten ihre Gastgeber erst recht große Augen. Die To-gai-ru waren zwar Nomaden, doch ihren Wanderungen waren klare Grenzen gesetzt, und eine davon bildete das Gebirge. Nur wenige To-gai-ru hatten es überquert, und noch viel weniger waren je zurückgekommen.
»Was du da sagst …«, begann Barachuk, unterbrach sich dann aber und schüttelte nur den Kopf.
»Ist schwer zu glauben?«, beendete Brynn den Satz für ihn. »Eins könnt Ihr mir glauben, wenn Ihr meine ganze Geschichte wüsstet, würdet Ihr noch größere Augen machen.« Mit diesen Worten griff sie in ihre Tasche, holte das Barett der Pauris hervor und stülpte es sich über ihr schwarzes Haar. Die beiden sahen sie verwundert an; offenbar begriffen sie nicht.
Einen kurzen Augenblick lang spielte Brynn mit dem Gedanken, ihr Schwert zu ziehen und dessen Klinge in Flammen aufgehen zu lassen, verzichtete dann aber darauf, da sie es für klüger hielt, nicht zu viel von sich preiszugeben, nicht einmal gegenüber diesen beiden, denen sie im Stillen längst vertraute. Sehr wahrscheinlich würden sie es nicht für sich behalten können, zumindest nicht gegenüber ihren Freunden; zumal die Behreneser auf die Idee kommen könnten, Barachuk und Tsolona zu belauschen, wie sie bereits ein Auge auf sie selber hatten.
»Es ist die beliebte Kopfbedeckung eines ebenso mächtigen wie üblen Volkes von Zwergen, die sich Pauris nennen«, erklärte Brynn. »Ich glaube, ein großer Teil der Rüstung, die ich trage, wurde ebenfalls von Pauris hergestellt.«
»Du hast dich mit Zwergen angefreundet?«, fragte Tsolona.
»Nein.«
»Dann hast du gegen sie gekämpft. Und das ist deine Kriegsbeute?«
»Nein, ich habe nicht einmal einen Pauri zu Gesicht bekommen. Die Sachen stammen aus dem Nest eines viel gefährlicheren Feindes, aus einer Höhle tief unter den Bergen. Von einem so mächtigen Geschöpf, dass es das ganze Land dem Erdboden gleichmachen könnte.«
Die beiden Alten sahen sich an, während ein überraschter Ausdruck auf ihren Gesichtern erschien, der jedoch rasch einem zweifelnden Grinsen wich.
»Und dieses Monster hast du getötet?«
»Nein, der Drache war doch ein bisschen zu groß für mich«, antwortete Brynn aufrichtig.
»Richtig, der Drache«, wiederholte Barachuk, alles andere als überzeugt.
Brynn nickte und behielt die Ruhe, obwohl die beiden offenkundig an ihren Äußerungen zweifelten.
Weitere Kostenlose Bücher