Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
die Kreise des jeweils anderen nicht zu stören.«
»Und trotzdem seid Ihr hier.«
Die simple Feststellung ließ Pagonel stutzen. Tatsächlich war es ihm so kurz nach seiner Erleuchtung noch gar nicht in den Sinn gekommen, sich einen Grund für seine Reise nach To-gai zurechtzulegen – oder warum er Ashwarawu und seinen wilden Haufen überhaupt aufgesucht hatte. Kaum hatte er die Steppe durchquert, waren ihm überall unterwegs Geschichten über Ashwarawu und seine Bande sowie ihre harten Vergeltungsschläge gegen die Siedlervorposten der Behreneser zu Ohren gekommen. All dem hatte Pagonel entnommen, wieso dieser junge Mann – er war überrascht, wie jung Ashwarawu tatsächlich war – sich den Namen »der ohne Erbarmen tötet« verdient hatte.
Er hätte sich und anderen etwas vormachen müssen, wenn er nicht zugegeben hätte, wie sehr ihn Ashwarawu und seine Rebellentruppe faszinierten. Trotzdem war es nicht diese Faszination allein, die ihn bewogen hatte, Ashwarawu aufzusuchen.
»Warum habt Ihr mich gefunden, Mystiker?«, hakte Ashwarawu nach. »Nach dem Wie muss ich nicht fragen – die Geschichten über die Zauberer unter den Jhesta Tu sind mir seit langer Zeit bekannt. Zweifellos hat Euch irgendein Zauber zu mir geführt. Die Frage, auf die ich dringend eine Antwort brauche, ist, dient dieser Zauber dem Nutzen der Turbane? Seid Ihr vielleicht gar ein Spion? Habt Ihr womöglich die Absicht, die Turbane zu mir zu führen und sie über die Stärke meiner Truppen zu informieren?«
»Die Antwort auf sämtliche Fragen lautet Nein«, erwiderte Pagonel, ohne zu zögern. »Ich bin nach To-gai gekommen, um zu lernen.«
Das überraschende Geständnis ließ Ashwarawu erstaunt die Augen aufreißen. »Was kann man denn hier lernen, Mystiker? Wie man kämpft oder wie man stirbt?«
»Vielleicht ja, wie man lebt.«
Die entwaffnende Erwiderung ließ den jungen Ashwarawu stutzen; er musterte den Ordensbruder lange von Kopf bis Fuß.
»Ihr seid also hergekommen, um zu lernen«, sagte er langsam und schien Pagonel dabei mit jeder Silbe, die aus seinem Mund kam, auf die Probe stellen zu wollen, »für welche Seite Ihr Euch entscheiden sollt.«
»Ich wusste gar nicht, dass die Jhesta Tu in den Kampf zwischen Behren und To-gai verwickelt sind.«
»Ihr sagtet doch, Ihr wärt ein To-gai-ru!«
»Ja, früher; und vielleicht werde ich irgendwann auch wieder einer sein«, erwiderte Pagonel. »Ich weiß es nicht. Im Augenblick bin ich nichts weiter als ein Jhesta Tu, der hergekommen ist, um zuzusehen und zu lernen. Und sonst gar nichts.«
Der Mann an Ashwarawus Seite spie in unverkennbarer Verachtung auf den Boden. »Und wir sollen dann wohl für seine Unterhaltung sorgen?«, fragte er, an seinen Anführer gewandt.
Pagonel hatte jedoch längst bemerkt, dass seine Ausführungen Ashwarawu so neugierig gemacht hatten, dass sie mit diesen simplen Fragen nicht weiterkommen würden. Der grimmige Rebellenführer starrte Pagonel noch immer an; vielleicht, um sich ein genaueres Bild von ihm zu machen, oder auch, um die möglichen Vorteile dieser unerwarteten Begegnung gegen die potenziellen Risiken abzuwägen.
Pagonel zweifelte nicht daran, dass Ashwarawu eher zu den möglichen Vorteilen neigte. Wie viel stärker würden seine Truppen werden, falls sich die Mystiker der Jhesta Tu auf seine Seite schlügen? Denn obwohl er vermutlich der erste Jhesta Tu war, den Ashwarawu zu Gesicht bekam, war die Legende der kämpferischen Mystiker aus den Feuerbergen mit Sicherheit sowohl in Behren als auch in To-gai bestens bekannt.
»Ihr seid ein weiterer Mund, der gefüttert werden will«, sagte Ashwarawu schließlich.
»Ich brauche keine Lebensmittel; ich bin durchaus in der Lage, mich selbst zu versorgen.«
»Und ein paar von meinen Kriegern außerdem?«
»Einverstanden.«
Und so schloss sich der Meister der Jhesta Tu an jenem kalten Wintertag gegen Ende des Jahres 840 des Herrn der Truppe eines jungen Geächteten an, eines Mannes, der im Begriff war, sich bei Yatol Grysh in Dharyan und sogar bei Yakim Douan im fernen Jacintha zunehmend Gehör und Beachtung zu verschaffen.
Ashwarawu hatte nicht die leiseste Ahnung, was das alles bedeutete, doch die Aussicht, die Jhesta Tu für seine Sache zu gewinnen, versetzte ihn in Hochstimmung.
Auch Pagonel war sich über die Tragweite im Unklaren, aber eine leise Stimme in seinem Innern sagte ihm, dass seine Verbindung mit Ashwarawus Rebellen, und sei es nur als unbeteiligter Zuschauer, ihm helfen
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