Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
Dharielle sich etwas so Gewaltiges und Grässliches wie diesen Drachen vorzustellen gewagt. Er schien sie allein mit seiner Stimme töten zu können; jedes Wort, das er hervorstieß, wurde von einem kleinen Feuerstoß begleitet. Brynn hatte nur noch einen einzigen Gedanken: sie wollte fort, sich wieder hinunter in den Schacht stürzen und über den brennenden See fliehen. Obwohl ihre beiden Gefährten sich in einer überaus misslichen Lage befanden, schlug die junge Hüterin tatsächlich diesen Weg ein – bis plötzlich etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregte.
Unmittelbar neben dem Waffenstapel, über den sie soeben gestolpert war, schwebte eine gespenstische Erscheinung, der Geist eines Mannes, eines To-gai-ru.
»Emhem Dal«, entfuhr es ihr leise, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, woher sie die Identität des Geistes wusste.
Die gespenstische Erscheinung hob ihren durchscheinenden Arm und deutete zur Seite; sofort verspürte Brynn einen Befehl, dem sie sich nicht widersetzen konnte. Sie verdrängte das anhaltende Dröhnen des Lindwurms, Juraviels und Cazziras panische Schreie und das Scharren der Drachenkrallen auf dem Fels, stürzte, dem Befehl der Erscheinung folgend, zur Seite hinüber, zu einem aus den unterschiedlichsten Wertgegenständen bestehenden Haufen. Dort angekommen, fing sie sofort an zu wühlen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wonach sie eigentlich suchte, denn für derartige Überlegungen hatte sie gar keine Zeit.
Sie wühlte einfach hektisch drauflos, schleuderte Kelche und Schmuck, seltsam geformte, mit dem Gesicht eines Zwergs versehene Münzen und sogar einen Helm mitsamt Schwert zur Seite. Dann noch ein Schwert …
Um ein Haar hätte sie das zweite ebenfalls achtlos zur Seite geworfen, doch dann, ihre Hand schloss sich bereits um das wunderbar gearbeitete Heft, überkam sie die Erkenntnis wie eine Woge. Das Heft war einer tanzenden Elfe nachempfunden, deren im Tanz ausgestreckte Arme den Handschutz bildeten, während ihr aus einem hellen Rubin gestalteter Kopf als Verbindungsstück zwischen der schlanken Klinge und dem Knauf diente.
Die Klinge selbst war nicht minder prunkvoll; sie war rasiermesserscharf und auf beiden Seiten über die gesamte Länge mit feinen Ziselierungen versehen. Schon eine schnelle Bewegung ihres Handgelenks ließ die Klinge erzittern; davon abgesehen spürte sie sofort, welch ungeheure Kraft in ihm steckte.
Als sie begriffen hatte, was es mit diesem Schwert, dem Schwert eines Hüters, auf sich hatte, drehte sich Brynn zu dem Geist um … doch die Erscheinung war bereits wieder verschwunden.
Endlich erwachte sie aus ihrer Verwirrung und sah Juraviel, den Bogen in der Hand, über einen Haufen hinwegfliegen und eine ganze Serie von Pfeilen auf den ihn verfolgenden Drachen abschießen.
Erschrocken sog sie die Luft ein, als sie mit ansehen musste, wie Juraviel auf den nächsten Schatzhaufen zuraste, der ihm den Weg versperrte, sodass der Drache ihn vermutlich einholen würde.
Der Elf ließ sich jedoch kurz vorher fallen, sodass der Drache ins Leere biss und gegen den Berg aus Münzen und Edelsteinen prallte, die kurz darauf in der gesamten Höhle niederprasselten.
»Lauft weg!«, schrie Juraviel erneut. »Jeder in eine andere Richtung, und sucht euch einen Weg nach draußen!«
»Von hier aus gibt es kein Entrinnen«, versicherte der Drache.
»Für mich vielleicht nicht«, sagte Brynn leise, ehe sie sich mit einem Aufschrei und hocherhobenem Schwert an dem überraschten, noch immer fliehenden Juraviel vorbei auf den Lindwurm stürzte.
»Jetzt kriegst du mein Schwert zu spüren!«, brüllte die Hüterin, rollte sich an dem schlängelnden Kopf vorbei, um schließlich zwischen den gigantischen Vorderbeinen wieder auf die Füße zu kommen. Nach sorgfältiger Wahl ihres Ziels, die Kerbe in der Brust, legte sie ihren ganzen Schwung in den kraftvollen Stoß und stach das mächtige Hüterschwert mit aller Kraft und Leidenschaft in Richtung Drachenherz.
Es gereichte dem Schwert zur Ehre, dass es nicht brach.
Und es gereichte Brynn zur Ehre, dass sie es schaffte, den Schuppenpanzer ihres Opfers wenigstens leicht anzukratzen.
»Brynn!«, brüllte Juraviel.
Als die junge Hüterin den Kratzer in der Schuppenhaut betrachtete, dämmerte ihr, dass sie mindestens noch hundert weitere Versuche benötigen würde, um diesen Panzer zu durchdringen – wenn überhaupt. Sie seufzte, hob den Blick und sah, dass der Lindwurm den Kopf zurückgezogen hatte und
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