Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
sie als ihre Rivalen betrachteten.
Daher stand die erste Reaktion, als Pagonel, bekleidet mit seinem verräterischen Gewand, vor den Toren des Palasts der Chezru eintraf, ganz im Zeichen dieser alten Vorbehalte. Die beiden Krieger, die vor den mächtigen Toren des Gebäudes Wache hielten, starrten ihn mit offenem Mund und großen Augen an; sie mussten sich erst von ihrer anfänglichen Überraschung erholen, ehe sie die Spitzen ihrer Speere senkten und sie auf die Brust des Mystikers richteten.
»Friede«, begrüßte Pagonel sie und drehte seine leeren Hände in einer harmlosen Geste nach oben. »Mein Name ist Pagonel; ich bin ein guter Bekannter von Yatol Mado Wadon. Es war meine Wenigkeit, die die Forderungen der Yatols dem Drachen von To-gai übermittelt und damit den Krieg beendet hat.«
Noch während er sprach, wurden die Speere nach und nach zur Seite geschwenkt und schließlich ganz gesenkt, und als er geendet hatte, nickte einer der Posten dem anderen zu, der daraufhin im Innern des Palastes verschwand.
Wenige Augenblicke später wurde Pagonel durch das Tor geleitet, und obwohl er sofort von weiteren Posten umringt wurde, von denen nicht wenige ihm bedrohliche Blicke zuwarfen, erkannte der Mystiker sofort, dass er gut daran getan hatte, herzukommen, und dass man ihm tatsächlich die gewünschte Audienz bei Yatol Mado Wadon gewähren würde.
Sie brachten ihn in einen kleinen Warteraum und ließen ihn dort zurück. Als sie gingen, hörte er, wie sie hinter sich die Tür verriegelten.
Pagonel lehnte sich mit dem Rücken an die Wand gegenüber der Tür, ließ sich in eine bequeme, kauernde Haltung hinabsinken und wartete. Als aus den Minuten eine Stunde wurde und er noch immer wartete, ließ er die auf seiner Reise nach Osten gewonnenen Eindrücke noch einmal Revue passieren und ging in dem Versuch, den Ernst der Lage in diesem von Unruhen erschütterten Land besser zu begreifen, sämtliche Geschehnisse und Gespräche in Gedanken noch einmal durch.
Schließlich öffnete sich die Tür, und zu Pagonels Überraschung war es Mado Wadon selbst, der den Raum betrat. Er war verhältnismäßig alt, mit schütterem Haar, das sich bis auf wenige, kaum nennenswerte Büschel gelichtet hatte, und schweren Lidern, die seine müden Augen halb verhüllten. Er bewegte seinen welken Körper gerade mal einen Schritt weit in den Raum hinein, ehe er kehrtmachte und Pagonel bedeutete, ihm zu folgen. Wortlos durchquerte der Yatol, Pagonel im Schlepptau, die gewölbten Flure Chom Deirus, vorbei an den bedeutendsten Kunstwerken der Chezru-Religion, deren Mosaike die großen Kämpfe innerhalb der behrenesischen Kirche und Kultur darstellten.
Wie hohl und bedeutungslos erschienen Pagonel viele dieser Wandbilder jetzt, nach den Enthüllungen über den einstigen Chezru-Häuptling! Yakim Douans Verbrechen, der sich mit Hilfe eines Seelensteins der Körper ungeborener Kinder bemächtigt hatte, um in neuer Leibeshülle weiterexistieren zu können, sprachen diesen riesigen Wandbildern Hohn, auf denen die Abellikaner aus dem Norden wegen der Verwendung eben dieser Edelsteine als Ketzer gebrandmarkt wurden. Yakim Douans beispielloser Betrug entwertete die unzähligen Chezru-Darstellungen ruhmvoller Transzendenz, jenes Vorganges, in dem die Chezru eine Weitergabe ihres Wissens und die Wiedergeburt einer neuen Stimme Gottes sahen, die unter den Kindern Behrens zu suchen war. Erst jetzt, als er durch diese Flure schritt und die Wandbilder, das Herzstück des Chezru-Glaubens, betrachtete, wurde Pagonel wirklich bewusst, welch tiefgreifende Veränderungen Yakim Douans Täuschungsmanöver diesem Land beschert hatte. Die Chezru-Religion war bis ins Mark erschüttert worden.
Welche Leere würde nun zwangsläufig darauf folgen?
Sie betraten ein kleines Privatgemach mit zwei Sesseln vor einem brennenden Kamin. Speisen und Getränke waren bereits auf einem dazwischen stehenden Tisch angerichtet worden.
»Ihr bringt Nachricht von Brynn Dharielle«, begann Yatol Mado Wadon das Gespräch, ehe Pagonel überhaupt Platz genommen hatte. Seine Stimme, die bei nahezu jeder Silbe zu brechen drohte, klang so alt und müde, dass es genau dem welken Äußeren des Mannes entsprach.
»Ich kam in der Hoffnung, von Euch eine Nachricht zu erhalten, die ich an sie weitergeben könnte«, erwiderte der Mystiker. »Die wachsenden Probleme innerhalb Eures Königreiches waren auf meiner Reise in den Süden nirgendwo zu übersehen, Yatol.«
»Yatol Bardoh hat nicht zu
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