Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
ich noch am Leben bin und mir eine private Audienz bei Euch gewährt wurde«, unterbrach ihn Pagonel. »Ich möchte annehmen, Ihr wisst genug über die Jhesta Tu, um zu begreifen, dass ich hätte hier eindringen und Euch töten können, und doch habt Ihr beschlossen, mich zu empfangen.«
»Vielleicht, weil ich Informationen für Abt Olin und König Aydrian sammeln möchte.«
»Vielleicht«, pflichtete Pagonel ihm mit einer Verbeugung bei.
Bretherford stürzte den letzten Tropfen Rum hinunter, ehe er das Glas zur Seite schleuderte, wo es mit einem dumpfen Klingen auf dem Holzboden landete. »Was soll ich Eurer Meinung nach tun?«, fragte er im Tonfall hilfloser Verzweiflung.
»Ich möchte, dass Ihr Euch Eure Hoffnung bewahrt, wohin sie Euch auch führen mag«, erwiderte Pagonel. »Ich möchte, dass Ihr ein scharfes Auge auf die Geschehnisse haltet, die die Welt verändern werden. Und schließlich möchte ich, dass Ihr Eurem Gewissen folgt und mutig eine Entscheidung trefft – und nicht aus Feigheit. Mehr kann man von niemandem verlangen.«
Damit verbeugte Pagonel sich abermals und trat durch die Kajütentür nach draußen. Er passierte die vielen Soldaten, die sich auf Deck versammelt hatten, und ging zum Bug, wo Juraviel ihn bereits mit ausgestreckter Hand erwartete. Ehe die Soldaten, die ihm neugierig gefolgt waren, nahe genug waren, um etwas zu erkennen, traten er und Juraviel mit einem großen magischen Schritt hinüber auf das felsige Ufer im Norden von Jacintha.
»Und, steht er nun auf unserer Seite?«, fragte Juraviel.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Pagonel. »Aber wenn man ihn weiter auf dem Laufenden hält, könnte ihn das in diese Richtung führen.« Er sah dem Elfen offen ins Gesicht. »Dieser Stein, den Ihr bei Euch tragt, könnte sich in Verbindung mit dem Edelstein der Doc’alfar vielleicht als unser größter Vorteil erweisen. Ich möchte Euch von ganzem Herzen bitten, zu veranlassen, dass sich Euer Volk und das Eurer hellhäutigen Vettern stärker in diesem Kampf engagieren.«
»Wir sind nur wenige und außerdem für Aydrian und seine Schergen keine ebenbürtigen Gegner.«
»Aber Ihr könntet unsere Augen, Ohren und Münder sein«, erklärte Pagonel. »Brynn Dharielle konnte To-gai nur deshalb von der behrenesischen Herrschaft befreien, weil sie mehr über ihre Feinde wusste als diese über sie. Beweglichkeit und geschickte Attacken waren es, die To-gai letztendlich zum Sieg verhelfen haben.«
»Aber das war ein Befreiungskrieg«, erwiderte Juraviel. »Hier geht es um einen Kampf gegen die Heimat König Aydrians. Was immer wir tun, irgendwann werden wir unmittelbar mit ihm und seinen gewaltigen Armeen zusammenstoßen. Kein Teilerfolg wird uns unserem Ziel näher bringen. Jedenfalls nicht im Bärenreich, auch wenn für die Königreiche im Süden des Gebirges noch Hoffnung besteht.«
»Solche Teilerfolge könnten aber möglichen Verbündeten Hoffnung machen und sie veranlassen, sich unserer Sache anzuschließen«, erklärte der Mystiker. »Welche Rolle werdet Ihr und Euer Volk dabei spielen?«
»Im Grunde war es Lady Dassleronds Beschluss, sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen, der zu der Katastrophe mit Namen Aydrian geführt hat«, sagte der Elf.
»Dann ist es Eure verdammte Schuldigkeit, dabei zu helfen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.«
Juraviel dachte noch lange über diese Worte nach.
16. Hilfe aus dem Jenseits
Da war kein Schmerz. Da war auch kein Kältegefühl. Es gab überhaupt keine körperlichen Empfindungen. Zeit und Raum schienen jede Bedeutung für sie verloren zu haben.
Pony brauchte lange, bis ihr dämmerte, dass sie in das Reich der Seelen eingetreten war, jenes Reich, das sie durchstreifte, sobald sie ihren Körper verließ. Nein, ganz offenkundig war dies absoluter, denn ringsumher vermochte sie nichts zu erkennen, was auf die reale physische Welt hingedeutet hätte, nicht einmal ein sichtbares Tor zurück in die Welt des Gegenständlichen und der Farben. Ihre gegenwärtige Umgebung schien eher dem Ort zu ähneln, wo sie an jenem Tag vor langer Zeit in Chasewind Manor gegen Markwarts Geist gekämpft hatte. Es war das einzige Mal gewesen, dass sie sich so weit ins Jenseits vorgewagt hatte. Die Erinnerung an dieses Ereignis löste augenblicklich eine wahre Flut von Gedanken bei ihr aus, die Einzelheiten des Kampfes bei Pireth Dancard dagegen drangen nur ganz allmählich wieder in ihr Bewusstsein. Erst nach einer ganzen Weile fiel ihr wieder ihre
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