Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
den Villen der Stadtoberen sowie über St. Bondabruce und St. Rontlemore wehten, entsprachen der neueren Variante: Bär und Tiger, die einander Auge in Auge auf den Hinterbeinen über dem Immergrün-Symbol der Kirche gegenüberstanden.
»St. Rontlemore hat sich in dieser Angelegenheit sehr einsichtig gezeigt«, bemerkte De’Unnero, als er das Banner über der alten Abtei wehen sah.
»Weil Herzog Kalas die Abtei vollkommen von St. Mere-Abelle isoliert hat«, erwiderte Aydrian. »Soweit sie das beurteilen können, hat die Mutterabtei sich von ihnen abgewendet.«
»Ich traue ihrem Treuebekenntnis nicht«, gestand Herzog Kalas. »Die Ordensbrüder von St. Rontlemore denken wohl eher pragmatisch als weise, demnach dürften sie, für den Fall, dass sich die Lage wieder ändert, die alte Fahne des Hauses Ursal noch in der Hinterhand haben.«
»Ist St. Mere-Abelle erst gefallen, brauchen wir uns darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen«, erwiderte Aydrian und sah zu De’Unnero, der bestätigend nickte und sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
»Ich habe Herzog Bretherford unten im Süden bereits vor einer ganzen Weile benachrichtigt«, sagte Herzog Kalas. »Ich gehe davon aus, dass Abt Olin hier sein wird, um uns zu begrüßen, oder doch zumindest bald eintreffen wird.«
»Wenn er nicht bereits hier ist, dürfte es zu spät sein«, sagte De’Unnero. »Wir haben in St. Mere-Abelle einen mächtigen Gegner zurückgelassen. Jetzt, da der Frühling die verschneiten Wege rasch wieder passierbar macht, steht Prinz Midalis womöglich nicht weit hinter uns.«
»Palmaris ist bestens gesichert, ebenso Ursal«, erwiderte Herzog Kalas mit Nachdruck, als hätte er die Bemerkung als Affront aufgefasst.
»Nichts würde mich mehr freuen als die Nachricht, dass Midalis und St. Mere-Abelle die Stadt Palmaris jetzt gemeinsam angreifen«, sagte Aydrian. »Sollen sie doch ihre Karten aufdecken.«
»Wo immer er in Erscheinung tritt, Midalis wird gewiss nicht ohne Unterstützung kommen«, warnte De’Unnero.
»Wo immer das sein mag, ich werde ihn in jedem Fall vernichten«, versicherte ihm Aydrian, nicht ohne Herzog Kalas’ leicht unzufriedene Miene zu bemerken. Er hatte durchaus Verständnis für seinen Widerwillen, schließlich war Prinz Midalis lange Zeit sein Freund gewesen und obendrein der Bruder jenes Mannes, mit dem er sich lange Jahre zutiefst verbunden gefühlt hatte. Doch letztendlich war das alles bedeutungslos. Herzog Kalas würde fest zu ihm stehen, wenn Midalis eintraf.
»Je eher wir ihn los sind, desto eher kann ich das Königreich in seiner Gesamtheit in meine Gewalt bringen und mich ganz darauf konzentrieren, Abt Olin bei der endgültigen Unterwerfung der Behreneser zu unterstützen«, fuhr Aydrian fort. »Aber was kommt danach, frage ich mich? Soll ich in To-gai einmarschieren, ganz unten im Südwesten? Oder vielleicht in die kalten Länder Alpinadors?«
Er unterbrach sich, als sie ihre Pferde vor dem großen Eisentor des Zaunes, der St. Bondabruce umgab, anhalten ließen. Ein Schwarm eilfertiger Ordensbrüder bereitete ihnen einen herzlichen Empfang und geleitete sie in den Hauptaudienzsaal Abt Olins. Es war ein großer, lichtdurchfluteter Raum, vielleicht nicht ganz so gewaltig wie die Audienzsäle auf Schloss Ursal, aber immerhin eindrucksvoller als die eher beengten Räumlichkeiten von St. Mere-Abelle, deren gedrungene Architektur die Abtei vor den kalten mirianischen Winden schützen sollte. St. Mere-Abelle war um ein Vielfaches größer als St. Bondabruce und beherbergte mehr als die zehnfache Zahl von Ordensbrüdern. Die Mutterabtei besaß Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert, darunter goldbesetzte Wandbehänge, Zierkelche und Kunstgegenstände aus allen Zeiten des Abellikaner-Ordens sowie eine Reihe anderer, deren Ursprung bis in die Zeit vor dieser uralten Religion zurückreichte. Hinsichtlich seines Bestands an magischen Steinen, der Bibliothek und der Kunstschätze vermochte es St. Bondabruce nicht einmal ansatzweise mit St. Mere-Abelle aufzunehmen, auch hatte die Abtei in Entel keine sehenswerten architektonischen Kleinode aufzuweisen, wie etwa das reich verzierte Buntglasfenster, das vom Hauptturm der großen Abtei St. Mere-Abelle einen Blick auf die Allerheiligenbucht gewährte. Wegen des milderen südlichen Klimas konnte St. Bondabruce auf die niedrigere Deckenkonstruktion ihrer Schwesterabtei im Norden verzichten, und so war das Bauwerk denn auch mit hoch in den Himmel ragenden
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