Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
zu müssen, wie ihren Gemahl der Tod ereilte, nicht an den unvermittelten, brutalen Schock, als sie von ihrem längst verloren geglaubten Sohn erfahren hatte. In diesem Augenblick im Morast, über sich den Lichthof, erfüllt von ihrer Liebe für Elbryan, bemühte sich Pony um eine andere Sichtweise. Sie zwang sich, ihren Zorn auf Lady Dasslerond zu vergessen. Stattdessen dankte sie ihr und den Elfen im Stillen, dass sie ihr das Leben gerettet hatten, dass sie Aydrian gerettet hatten. Entschieden schob sie allen Schmerz und Groll beiseite, ließ ihre Angst vor dem Monstrum, das Dasslerond geschaffen hatte, hinter sich und versuchte Aydrian in einem neuen Licht zu sehen. Er war ihr Sohn. Und er litt fürchterliche Qualen.
Diese fürchterlichen Qualen hatten ihn dazu getrieben, die Katastrophe auf die Spitze zu treiben. Diese fürchterlichen Qualen hatten den Groll auf seine Mutter gespeist. Diese fürchterlichen Qualen – und Marcalo De’Unnero.
Kaum war der Name ihr in den Sinn gekommen, verdrängte Pony ihn wieder. Für Zorn hatte sie im Augenblick keinen Platz.
Vielleicht gab es ja auch noch einen anderen Grund als diesen De’Unnero, grübelte sie, und sofort lief es ihr eiskalt über den Rücken. In Gedanken ging sie noch einmal die Umstände durch, unter denen sie Aydrian verloren hatte – mitten in einem spirituellen Kampf mit dem ehrwürdigen Vater Markwart sowie einer Kreatur, die das Begriffsvermögen dieses gebrechlichen alten Mönches weit überfordert hatte.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie wieder den alten Kampfgeist in sich aufkeimen, jene Leidenschaft, die sie zum Berg Aida geführt hatte, um dort gegen den geflügelten Dämon zu kämpfen, eben jene innere Glut, die sie die schwere Prüfung durch Markwart und den Verlust so vieler geliebter Menschen hatte aushalten lassen, eben jene Energie, die ihr während der Rotfleckenpest Mut gemacht, ihr das wahre Wesen der Ordensgemeinschaft gezeigt und den Weg zum Schrein Avelyns gewiesen hatte.
Sie dachte noch einmal über Aydrian nach, über dieses exzentrische Monstrum, zu dem er geworden war, und stellte fest, dass sie es nicht übers Herz brachte, gegen ihren eigenen Sohn zu kämpfen.
Aber Pony ließ auch diesen Gedanken hinter sich und machte sich noch einmal von ganzem Herzen klar, dass sie sehr wohl den erforderlichen Mut besaß, gegen Marcalo De’Unnero zu kämpfen.
So als hätte der Gedanke an den falschen und in Misskredit geratenen Mönch ihrem Körper neue Entschlossenheit verliehen, stemmte sie sich vom Erdboden hoch und ging zu dem geduldig wartenden Symphony hinüber. Liebevoll strich sie dem Pferd übers Gesicht, um ihre Dankbarkeit zu zeigen, dann brachte sie ihr Gesicht ganz nah an den Hals des prächtigen Hengstes, bis sie seine Wärme spürte. Pony schwang sich auf Symphonys Rücken, flüsterte ihm ins Ohr, dass sie nach Hause wollte, und krallte sich in seine dichte schwarze Mähne.
Der Hengst sprang mit einem mächtigen Satz los und preschte davon, wie kein anderes Lebewesen auf der Welt zu rennen vermochte.
Unermüdlich trug er sie quer durch die Moorlande bis in die Wälder, wo das Laub bereits in einer dicken Schicht die Pfade bedeckte. Er stürmte jeden Hang hinauf, stieg mit eleganten und vorsichtigen Bewegungen an der Rückseite wieder hinunter, immer weiter nach Osten.
Wenige Tage später galoppierte Symphony über Felder voller Rentiermoos, das er mit seinen Hufen zu weißem Staub aufwirbelte. Als Pony die sanft geschwungenen, moosbewachsenen Felder rundum erblickte, wusste sie, dass sie fast zu Hause war.
Sie beugte sich über den Hals des Pferdes und flüsterte ihm neue Anweisungen ins Ohr. Symphony verstand sofort, was sie wollte, und den Weg kannte er ohnehin. Eines Abends, kurz vor Anbruch der Dämmerung, machte das Pferd in der Nähe eines rautenförmigen Gehölzes Halt.
Pony ließ sich von seinem Rücken gleiten. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Luft von Bradwardens Lied erfüllt war, das sich wie stets mit den Geräuschen der Natur vermischte. Ermutigt von der Musik und von der besonderen Atmosphäre dieses Ortes, betrat sie das kleine Wäldchen und begab sich zu einer Lichtung mit zwei Hügelgräbern.
»Ich werde Euch Euer Schwert zurückbringen, Mather Wyndon«, versprach sie. »Und dir werde ich Falkenschwinge zurückbringen, mein Liebster. Was wir unter großen Mühen erreicht haben, soll durch die eigensinnigen Machenschaften unseres Sohnes nicht verloren gehen.«
»Worte, die mir süßer
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