Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
De’Unnero ihm bei, dabei klang er jedoch alles andere als triumphierend, sondern eher nüchtern. Natürlich sehnte De’Unnero den Fall der Abtei herbei – es wäre der Augenblick seines endgültigen Aufstiegs. Gleichwohl schmerzte es ihn, zu wissen, dass er, um die inneren Angelegenheiten der Kirche wieder ins Lot zu bringen, die einstmals uneinnehmbare Festung würde schleifen müssen. Um die Abtei St. Mere-Abelle rankte sich ein Mythos, der auf den kriegerischen Mönch eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte: Sie galt als uneinnehmbar, unbeherrschbar, alterslos.
»Was meint Ihr, haben wir sie für heute Vormittag genug durchgerüttelt?«, fragte Kalas.
»Gebt Acht, dass sich die Geschosse nicht zu hoch vor den Mauern auftürmen«, warnte der Mönch. »Sonst müssen wir sie am Ende noch zur Seite räumen, ehe wir das Tor rammen.«
Herzog Kalas schnaubte und drehte sich um, um einen Blick über die Schulter zu werfen. »Die Artillerie soll das Feuer einstellen«, rief er einem seiner in der Nähe stehenden Unterkommandanten zu, worauf der Soldat salutierte und sich auf den Weg machte, um den Befehl weiterzuleiten.
»Morgen früh werden wir den Beschuss wieder aufnehmen«, erklärte Kalas an De’Unnero gewandt. »Und von da ab jeden Morgen.«
Mit unverhohlenem Vergnügen beobachtete er, wie hinter den Abteimauern eine schwarze Rauchsäule in den Himmel stieg, zweifellos eine Folge der letzten Salve aus Pechgeschossen. »Irgendwann wird ihre Entschlossenheit erlahmen«, versprach er. »Und dann wird die Herrschaft über St. Mere-Abelle an Aydrian fallen.«
Marcalo De’Unnero musterte sein Gegenüber lange, widerstand jedoch der Versuchung, ihm zu widersprechen. St. Mere-Abelle würde fallen, gewiss, aber die Herrschaft über die Abtei würde an ihn und nicht an Aydrian übergehen.
Später am selben Tag traf ein Melder mit der Nachricht ein, dass Prinz Midalis im Osten erneut an Land gegangen war.
»Bei St. Gwendolyn?«, erkundigte sich Herzog Kalas hoffnungsvoll, denn dort hatte er eine beträchtliche Streitmacht zurückgelassen, die sich im Innern der Abtei verborgen hielt. »Damit dürfte dieser Verräter endlich auf einen Gegner gestoßen sein.«
»Nein, bei Pireth Tulme«, stellte der Melder richtig. »Anschließend ist er in das Dorf Macomber weitergezogen.«
Herzog Kalas sah zu De’Unnero, doch der Mönch zuckte nur mit den Schultern. Wieder einmal war der Prinz offenbar bestens darüber unterrichtet gewesen, wo er zuschlagen musste.
»Stellt eine Streitmacht zusammen, und erobert den Ort zurück«, befahl Herzog Kalas angewidert.
»Sehr wohl, Mylord«, antwortete der Melder, und Kalas bedeutete ihm mit einem Wink, sich zu entfernen.
»Betet zu Gott, dass Aydrian bald eintrifft«, raunte Kalas De’Unnero zu. »Wir brauchen hier dringend einen Sieg, damit die Bauern gar nicht erst auf die Idee kommen, Prinz Midalis könnte uns überlegen sein. Dabei hat er noch keinen einzigen wirklich großen Sieg errungen!«
»Offenbar setzt er darauf, dass er den gar nicht braucht«, erwiderte der Mönch.
Am nächsten Tag kündigten Trompetenstöße die Ankunft König Aydrians und seiner fünftausendköpfigen Streitmacht an. Ohne sich lange mit Förmlichkeiten aufzuhalten, steuerte er sofort auf jenes Zelt zu, das man ihm als Audienzsaal bereitgestellt hatte, um sich dort mit dem ehrwürdigen Vater De’Unnero und Herzo Kalas zu treffen.
»Ich nehme an, Ihr habt bereits von Olins Versagen gehört?«, fuhr Aydrian die beiden an, kaum dass sie das Zelt betreten hatten. Dabei fiel ihm auf, dass De’Unneros Augen keineswegs auf ihn, sondern auf Sadye gerichtet waren und der Mönch nicht eben begeistert war, sie wiederzusehen.
»Uns sind Gerüchte zu Ohren gekommen, ja«, bestätigte Herzog Kalas.
»Sie entsprechen ausnahmslos der Wahrheit«, sagte Aydrian. »Olin hat meine frühere Gefährtin Brynn Dharielle und ihre Stammesgenossen von den To-gai-ru angegriffen und sich dabei eine vernichtende Niederlage eingehandelt. Natürlich kam es Brynns Absichten zugute, dass zur selben Zeit Prinz Midalis in den Hafen von Jacintha einlief, um sie bei ihrem Kampf gegen Abt Olin zu unterstützen.«
»Der Prinz scheint immer genau dort zuzuschlagen, wo wir uns gerade nicht befinden«, erklärte Herzog Kalas.
»Der Grund dafür ist diese Hexe mit den Edelsteinen«, warf De’Unnero ein. »Dieselbe, der Ihr damals freies Geleit aus Ursal gewährt habt.«
Die beiden Männer maßen sich mit stechendem Blick,
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