Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
etwas, das ihrem Empfinden zuwiderlief. Und das hatte nicht nur etwas mit den Gewissensbissen zu tun, weil sie sich nicht unverzüglich hatte auf den Weg machen und Roger Flinkfinger befreien können, zumal sie dieses Unbehagen nicht als Einzige verspürte. Selbst Symphony, endlich befreit aus den beengten Verhältnissen an Bord der Saudi Jacintha, schnaubte, warf nervös den Kopf hin und her und schien bei der kleinsten Berührung zu erschrecken.
»Der Hengst fürchtet sich vor diesem Landgang«, sagte Pony zu Bradwarden. »Und ich spüre es auch – ein Gefühl der Bedrohung.«
»Ich will dir ja nicht widersprechen, Mädchen«, erwiderte der Zentaur, »aber meiner Meinung nach wärst du ganz schön dumm, wenn du nicht so empfinden würdest. Schließlich gehen wir ein großes Risiko ein und setzen alles auf eine Karte.«
Pony hörte aufmerksam zu und musste schließlich zugeben, dass er Recht hatte. Dieser Ausritt war gefährlicher als alle ihre früheren Unternehmungen. Weder bei ihrem Angriff auf Pireth Tulme noch vor St. Gwendolyn, ja nicht einmal bei ihrer Fahrt nach Jacintha, um sich dort Abt Olin entgegenzustellen, hatten sie sich weit von ihren Schiffen und der Sicherheit des Mirianischen Ozeans wegbegeben. Und nun stand ihnen in Kürze ein drei lange Tage dauernder Gewaltmarsch von der Küste ins Landesinnere bevor, auf dem sie sich über fünfzig Meilen von ihren Schiffen entfernen würden.
»Tja, nun werden wir ihm wohl bald gegenüberstehen«, riss Bradwarden sie einen Augenblick später aus ihren Gedanken. »Deinem Sohn. Zum ersten Mal, seit er dich aus Ursal verjagt hat, musst du ihm direkt gegenübertreten. Das macht dir Angst, und zwar zu Recht.«
»Du glaubst also, wir müssen uns einfach nur auf Juraviels Späher verlassen?«, fragte Pony.
»Ich denk bloß, wenn sie Recht behalten, bietet sich uns jetzt eine Chance, wie wir sie nie wieder kriegen werden. Wenn dein Sohn zu selbstsicher geworden ist und einen Fehler gemacht hat, wären wir ja dumm, nicht sofort anzugreifen.« Der Zentaur lachte verhalten, als er, zu seiner vollen Größe aufgerichtet, auf sie herabblickte und sagte: »Dürfte ziemlich finster in der Welt werden, wenn St. Mere-Abelle an ihn und diesen De’Unnero fällt.«
Er hatte natürlich vollkommen Recht, daher nickte sie nur und versuchte, ihre Beklommenheit zu unterdrücken.
Kurz darauf ritt sie wieder an der Seite von Prinz Midalis, Bruinhelde und Andacanavar und führte mit ihnen den Marsch quer über die Halbinsel an.
Sie galoppierten die Küste hinauf und hatten nur ein einziges Ziel im Sinn: eben jene Stelle zu finden, wo Prinz Midalis an Land gegangen war. Jeder Einzelne in der dreitausendköpfigen Kriegerschar unter der Führung des Allhearts Blaxson war sich darüber im Klaren, dass er nicht an der ruhmreichen Schlacht teilnehmen würde, zu der es in Kürze bei St. Mere-Abelle kommen würde. Aber jeder einzelne dieser Soldaten wusste auch, dass ihre jetzige Mission für den Erfolg ihres Königs unabdingbar war.
Sie durften ihrem Gegner keine Möglichkeit zur Flucht lassen.
Blaxson war sich der gewaltigen Risiken bewusst – in mancher Hinsicht war seine Streitmacht einer größeren Gefahr ausgesetzt als Aydrians Armee. Herzog Kalas hatte ihm die Pläne dargelegt, und Blaxson besaß genügend Kampferfahrung als Krieger, um zu erkennen, dass die Strategie im Wesentlichen auf zwei Punkten beruhte: auf der richtigen zeitlichen Abstimmung und auf einer Vermutung.
Würde Prinz Midalis den Köder tatsächlich schlucken, den König Aydrian für ihn ausgelegt hatte?
Würde der Prinz tatsächlich an Land gehen, und das genau in der vorhergesagten Zeitspanne? Denn wenn nicht, könnte es durchaus passieren, dass Blaxson und seine Soldaten plötzlich Prinz Midalis Auge in Auge gegenüberstanden und seiner Armee, die nicht nur größer war als Blaxsons, sondern in der auch Jilseponie Wyndon kämpfte.
Blaxson hatte seine Truppen vor der Gefahr einer solchen denkbaren Konfrontation gewarnt, und ihre Reaktion hatte seinen Stolz auf die Männer unter seinem Kommando um ein Vielfaches anschwellen lassen: Prompt hatten sie König Aydrians Schlachtruf angestimmt und ihre tägliche Marschzeit verdoppelt – von lange vor dem Morgengrauen bis weit nach Sonnenuntergang.
Am zweiten Tag nach ihrer Trennung von Herzog Kalas und fünf Tage nach ihrem Aufbruch bei St. Mere-Abelle wurden ihre Anstrengungen schließlich belohnt: In einer geschützten Bucht der
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