Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
vielleicht.«
Aydrian ballte die Fäuste. Sadye erwartete fast, dass er vor Enttäuschung mit dem Fuß aufstampfte. Sie widerstand dem Drang zu lachen. »Mein Wort ist Gesetz«, behauptete er, »und ich nehme mir, was immer ich begehre.«
Er machte eine Bewegung auf sie zu, doch Sadyes ausgestreckte Hand, unterstützt von einem Blick, dessen Heftigkeit alles übertraf, was Aydrian bislang bei ihr gesehen hatte, stoppte ihn wie ein unüberwindbares Hindernis.
»Nein, das wirst du nicht. Denn was du begehrst, kann man sich nicht einfach nehmen«, erwiderte Sadye.
Diese Worte schienen Aydrian ein wenig zu beruhigen. Er sah sie fragend an.
»Du könntest mich natürlich einfach mit Gewalt nehmen«, fuhr Sadye achselzuckend fort. »Ich könnte dich nicht daran hindern, noch würde jemand ein böses Wort über diese Tat verlieren. Schließlich bist du der König.«
Seinem Gesichtsausdruck sah sie an, dass er diese Möglichkeit genau in diesem Augenblick in Betracht gezogen hatte. Sadye erkannte, dass ihr noch eine Menge Arbeit mit diesem aufbrausenden jungen Mann bevorstand.
»Aber dadurch würdest du nichts gewinnen«, erklärte sie. »Außer einer gewissen körperlichen Erleichterung hättest du nichts davon, und wenn das deine Absicht ist, solltest du dir besser jemanden suchen, an dem dir nichts liegt, oder dir selbst helfen …«
»Das reicht!«
»Aber du würdest mich nicht wirklich besitzen, Aydrian«, fuhr Sadye unbeirrbar fort, und ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Denn ich würde meine Person völlig von dieser Erfahrung loslösen. Du würdest mich weder verletzen noch unterwerfen, denn ich wäre nur rein körperlich anwesend.«
»Vielleicht reicht mir das ja schon!«
Sie lachte ihm ins Gesicht. »Wenn du das glaubst, bist du ein Narr«, sagte sie, machte kehrt und ging um den Tisch herum. Sie musste Zeit gewinnen und brauchte Abstand, denn noch hatte er seine Lektion nicht gelernt. Kaum hatte sie genügend Abstand gewonnen, fing Sadye laut an zu lachen, nicht spöttisch, sondern um ihm in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass sie etwas wusste, von dem er keinen Schimmer hatte. »Du hast also Symphony deinem Willen unterworfen, ja?«, fragte sie.
Aydrian machte ein verblüfftes Gesicht und starrte sie eine Weile an, ehe er kaum merklich nickte.
»Und doch hast du das Pferd nie wirklich gezähmt«, fügte sie hinzu.
»Behauptest du«, entgegnete Aydrian.
»Hat Symphony dich während des Turniers etwa nicht bei der erstbesten Gelegenheit abgeworfen? Ist dir Symphony etwa nicht bei der erstbesten Gelegenheit in Palmaris weggelaufen?«
»Das Pferd sehnte sich zurück in die Freiheit …«
»Und doch beweisen alle Geschichten, die ich darüber gehört habe, dass Symphony aus freien Stücken auf Elbryan und Jilseponie zugegangen ist. Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass diese Begegnungen bedeutsamer waren als alles, was du je mit Symphony erlebt hast?«
Aydrian runzelte die Stirn. »Du redest von einem Pferd!«, stieß er kopfschüttelnd hervor. »Was hat das –«
»Nimm dir, was immer du begehrst, König Aydrian Boudabras«, sagte Sadye. »Aber einige Dinge kann man sich nicht nehmen, die kann man nur geschenkt bekommen.«
»Dahinter steckt De’Unnero, hab ich Recht?«, schrie Aydrian sie an.
Sadye fand das keiner Antwort würdig. Sie wandte sich von ihm ab und verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie hörte seine Schritte, als er Anstalten machte, ihr zu folgen, schmunzelte dann aber nur, als diese Schritte plötzlich innehielten. Sie wusste, seine Gefühle hatten sich wie eine massive Wand vor ihm aufgetürmt, eine Wand, die zu überwinden es ihm an Erfahrung und Mitteln fehlte. Sie hatte ihm Einhalt geboten.
Und sie hatte ihm die erste Lektion erteilt.
Sie ging in das Haus zurück, das man für sie reserviert hatte, und verbrachte mehrere Stunden damit, sich selbst und ihr Zimmer zurechtzumachen, ehe sie einen Diener rief, den sie zur anderen Straßenseite hinüberschickte, um den jungen Aydrian zu holen. Am liebsten hätte sie noch ein oder zwei Tage gewartet, bevor sie zur nächsten, alles entscheidenden Lektion überging, doch die Armee würde schon am nächsten Morgen weitermarschieren, und diese Lektion lernte man nicht in einem Zelt irgendwo in der Wildnis.
Als Aydrian später am selben Abend die schmale Straße zu dem Haus überquerte, das Sadye bewohnte, machte er ein finsteres Gesicht. Der junge König konnte kaum glauben, dass er der
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