Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
unteren Teil der weitläufigen südlichen Befestigungsanlagen Dancards, wo der Gestank verbrannten Pechs noch schwer in der Luft hing. Ringsumher war man immer noch mit der Beseitigung der Leichen beschäftigt – vierzig Männer der Küstenwache waren getötet worden sowie über sechzig von DePaunchs Leuten, ein Großteil davon eben jene tapferen Seelen an Bord des geopferten Kriegsschiffes, das immer noch eingekeilt längsseits des zertrümmerten Piers lag. Im Bereich des Dorfes waren mehrere Zivilisten getötet worden, offizielle Zahlen lagen aber noch nicht vor.
»Wachmann Presso wird überleben«, unterrichtete Meister Stimson den Grafen. Stimson hatte sich persönlich mit seinem Hämatit des Mannes angenommen, und die übrigen Abellikaner hatten sich unter die Inselbewohner gemischt und kümmerten sich um die Verletzten.
»Vermutlich nur, um aufgehängt zu werden«, erwiderte Graf DePaunch und ließ ein derbes Lachen hören, in das Giulio Jannet augenblicklich einstimmte.
»Ihr solltet von einer solchen Vorgehensweise Abstand nehmen«, warnte Meister Stimson. »Presso hat lange Jahre treu auf Dancard gedient und ist sowohl bei den Leuten im Dorf als auch bei seinen Männern überaus beliebt.«
»Ihr verlangt, ich soll seinen Verrat einfach ignorieren?«, fragte Graf DePaunch in gespieltem Unglauben. Schließlich wussten sie alle, dass das Verhalten von Wachmann Presso kaum als Verrat bezeichnet werden konnte und er tatsächlich eher aus Selbstschutz denn aus irgendwelchen anderen Gründen gehandelt hatte. »Mein lieber Bruder, wir dürfen nicht zulassen, dass abtrünnige Kommandanten sich der Herrschaft König Aydrians widersetzen.«
»Kennt der Mann überhaupt den Namen unseres Königs?«
»Man wird ihn ihm noch mitteilen«, versicherte DePaunch Stimson, »und zwar unmittelbar bevor sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzieht.«
Erneutes Gelächter. Giulio Jannet und DePaunch fanden das scheinbar ungemein komisch.
Meister Stimson wandte den Blick ab und dachte über die Aufgaben nach, denen er sich nun zu widmen hatte. Hier draußen auf Dancard gab es einen abellikanischen Priester, einen gewissen Meister Coiyusade. Er war ein überaus beliebter Kirchenmann, den man sogar beim letzten Abtkollegium, auf dem Fio Bou-raiy zum ehrwürdigen Abt gewählt worden war, angehört hatte. Wie sein Name bereits andeutete, war Coiyusade behrenesischer Abstammung, obwohl seine Familie bereits seit über einem Jahrhundert in Entel lebte und in der Vergangenheit so viele eheliche Bande mit Leuten aus dem Bärenreich geknüpft hatte, dass die Haut des Meisters eher den hellen Ton der Bewohner des Bärenreiches aufwies. Trotz seiner südländischen Herkunft hatte Coiyusade auf dem Abtkollegium für Fio Bou-raiy und nicht für Abt Olin gestimmt. Der Mann hatte den größten Teil seines Lebens in St. Rontlemore Dienst getan, der Schwesterabtei und Konkurrentin von Abt Olins Abtei St. Bondabruce in Entel.
Allerdings war er zunächst unsicher gewesen, wem er seine Stimme geben sollte, erinnerte sich Stimson, und hätte sich beinahe auf Abt Olins Seite ziehen lassen. Vielleicht konnte er jetzt von der neuen Wirklichkeit der abellikanischen Kirche überzeugt werden.
Ein Schrei lenkte die Aufmerksamkeit der drei Männer auf eine rennende Frau, die lauthals nach ihrem Ehemann rief. Sie erreichte fast den flachen Felsen neben dem Steinwall, vor dem die Toten aufgeschichtet wurden, ehe sich ihr zwei Kingsmen in den Weg stellten und einer von ihnen sie unsanft zu Boden stieß und ihr befahl zu verschwinden.
Stimson dämmerte, dass sich seine Aufgabe in Bezug auf Coiyusade erheblich schwieriger gestalten würde, wenn sich solche Vorfälle häuften. Er sah zu Graf DePaunch, in der Erwartung, dieser werde dem Soldaten, der mit seiner groben Behandlung der Frau längst noch nicht fertig war und sie sogar mehrfach mit den Stiefeln trat, einen Tadel erteilen.
Doch Graf DePaunch lachte bloß erneut, und Giulio Jannet schloss sich ihm an.
6. Ein Junge wird zum Mann
Es war ein kalter und schneereicher Wintertag, den die Menschen in dieser abgelegenen Gegend im Westen der Wilderlande normalerweise mit ihren Familien und Freunden eng zusammengekauert vor dem Kamin verbrachten, um sich gegenseitig zu wärmen. Und doch war die gesamte Einwohnerschaft von Festertool draußen unter freiem Himmel und säumte die Hauptstraße dieses entlegenen Weilers, eine schmale Karrenspur. Mit Freudensprüngen und rote Taschentücher schwenkend
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