Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Drache landete im Gleitflug auf seinem angestammten Platz in Dharyan-Dharielle, dem flachen Dach des Hauptwachturms, und zu ihrem Entzücken sah Brynn ihre Vermutung bestätigt. Es war tatsächlich Pagonel, der auf dem Rücken des Drachen zu ihr zurückgekehrt war. Sie beeilte sich, dem Mystiker entgegenzulaufen, und traf ihn wenige Augenblicke später, als er aus dem Wachturm ins Freie trat.
»Ich freue mich von ganzem Herzen, dass du wieder zurück bist«, sagte sie, ehe sie Pagonel in einer überschwänglichen, herzlichen Geste umarmte. Der Mystiker war nach Brynns überhasteter Abreise in Avaru Eesa zurückgeblieben, um diese merkwürdige Verbrüderung, zu der es offenbar zwischen den Religionen der Abellikaner und der Chezru gekommen war, eingehender zu untersuchen. Sie hätte es zwar gern gesehen, wenn ihr Erster Berater ihr bei der Vorbereitung To-gais auf einen möglichen Truppenvorstoß von Osten her zur Seite gestanden hätte, dennoch hatte sie Pagonels Einschätzung zugestimmt, dass die Situation einer genaueren Betrachtung bedurfte.
»Ich hatte Angst um dich«, gestand Brynn. »Die Jhesta Tu waren bei den Abellikanern und den Chezru noch nie sonderlich beliebt.«
»Immerhin habe ich ihnen geholfen, den Verrat von Chezru-Häuptling Yakim Douan ans Licht zu bringen«, erwiderte Pagonel.
»Eben deswegen hatte ich ja Angst, De Hamman und die anderen könnten einen Groll gegen dich hegen. Schließlich hast du ihr gesamtes Weltbild ins Wanken gebracht.«
»Man hat mich mit Respekt, wenn auch zurückhaltend behandelt«, erwiderte der Mystiker. »Ich glaube allerdings, ihre Höflichkeit hatte eher mit meiner Verbindung zu dir als mit irgendwelchen Aktionen meinerseits gegen Chezru Douan zu tun.«
»Zurückhaltend?«, wiederholte Brynn. »Dann hat man dir also kaum Einblick gewährt?«
»Nun, zumindest waren Yatol De Hammans offizielle Verlautbarungen recht viel sagend. Er nannte Yakim Douans Verrat einen der Hauptgründe für das ebenso schädliche wie unnötige Zerwürfnis zwischen den beiden Kirchen, den Abellikanern und den Chezru. Es war nicht zu übersehen, dass die derzeitige Führung der Chezru die Abellikaner in allen Belangen als Freunde und Verbündete akzeptiert.«
Die Nachricht ließ Brynn innerlich zusammenzucken. Sie schüttelte den Kopf.
»Yatol De Hamman ging sogar so weit zu behaupten, die beiden Kirchen dienten ein und demselben Gott, wenn auch mit unterschiedlichem Namen, und hegten die gleiche Hoffnung auf ein ewiges Leben im gemeinsamen Himmelreich.«
»Dann sind sie nicht einfach nur Verbündete, sondern haben sich im Kern vereinigt«, schloss Brynn.
»Ich vermute eigentlich eher, dass diese Beschreibung irgendwie auf alle Religionen passt«, fuhr Pagonel fort.
Die Bemerkung entlockte Brynn ein Lächeln, und sie sah ihn verschmitzt an. »Auch auf die Jhesta Tu?«
»Mag sein«, antwortete der Mystiker. »Allerdings macht uns unser Wissen um diese Möglichkeit toleranter gegenüber denjenigen, die sich nicht unseren Regeln unterwerfen.«
»Was meinst du, wird die Ausbreitung der abellikanischen Kirche eine aufklärende Wirkung auf die Bevölkerung Behrens haben?«, fragte Brynn. »Oder wird sie sich eher wie ein dunkler Schatten über das Wüstenkönigreich legen?«
»Das ist die Frage«, erwiderte der Mystiker.
»Sie machen mir Angst. Aydrian macht mir Angst.«
Pagonel gab ihr Recht. »Es ist offensichtlich, dass der Vormarsch der Soldaten und Priester des Bärenreiches nach Süden nicht nur sehr schnell, sondern auch in einer ganz bestimmten Absicht erfolgt ist. Mit ihrem Auftauchen hier verfolgen sie ein Ziel, das weit über Jacintha hinausreicht.«
»Und sie eventuell bis vor unsere Tore führen wird.«
»Und was soll dann geschehen?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Brynn. »Alle Vorbereitungen gegen einen Angriff, sollte es tatsächlich dazu kommen, sind getroffen, trotzdem habe ich nicht die Absicht, im Namen Behrens einen Krieg gegen die Männer aus dem Norden vom Zaun zu brechen – erst recht nicht, wenn alles dafür spricht, dass viele Behreneser die Abellikaner nicht nur dulden, sondern sogar mit offenen Armen willkommen heißen.«
»Es gibt noch einen weiteren beunruhigenden Gedanken«, erklärte Pagonel. »Falls es tatsächlich erneut zum Krieg kommt, werden unsere Feinde diesmal besser gerüstet sein vor allem gegen unsere mächtigste Waffe.«
»Der Drache fürchtet die Magie der Edelsteine, das stimmt«, pflichtete Brynn ihm bei. Beim Sprechen schaute sie
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