Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
nicht mehr hin.«
Das Mädchen schluchzte auf.
„ Marianne, du brauchst professionelle Hilfe.«
„ Hab ich. Die Sozialarbeiterin vom Frauennotruf. Ach, noch etwas, in letzter Zeit träume ich oft das gleiche. Ich werde an den Armen einen langen Flur entlanggezogen. Vorbei an einer geöffneten Tür. Durch den Spalt sehe ich Männer. Sie spielen Karten, lachen und trinken. Aber wie gesagt, das ist nur ein Traum.«
„ Du liebe Güte, das ist aber eine ganze Menge. Dein Unterbewusstsein scheint dir Meldungen zu schicken, oder was meinst du?«
„ Keine Ahnung, besser, Sie behalten es für sich. Ich will mich nicht noch blamieren, ist alles schon peinlich genug.«
Sie schluchzte erneut auf.
„ Marianne, es tut mir leid, dass ich dich noch mal ...«
„ Ja, ja, schon gut, ich hab Sie ja freiwillig angerufen. Und noch etwas. Ich weiß Bescheid über Emira. Sie hat das, was ich ihr erzählt habe, einfach kopiert. Ihr alter Herr ist aber auch wirklich ätzend.«
Anke ließ sich nach dem Gespräch in den Sessel fallen. Die abgelegten Kleidungsstücke über der Lehne drückten in ihrem Rücken, aber diesmal schleuderte sie die Sachen nicht auf den Boden, sondern verfiel ins Grübeln über das Gespräch mit Marianne. Traum oder Wirklichkeit, Fragmente eines traumatischen Erlebnisses, die dem Mädchen nachts im Gehirn herumwirbelten?
11
Laura saß angezogen auf dem gemachten Bett und sah ihrem Bruder schweigend dabei zu, wie er ihre Sachen in eine mitgebrachte Sporttasche warf. Nur sechs Tage hatte sie in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie I der Rheinischen Kliniken Bonn verbringen müssen. Als Fabio fertig gepackt hatte, stellte er die Tasche achtlos auf den Boden und wandte sich ihr zu.
„ Nimm die Auflage ernst, Schwesterherz und begib dich in Psychotherapie, ich krieg das sonst nicht mehr hin.«
Laura nickte beklommen.
„ Es hat mich heute einiges mehr gekostet als die letzten Male«, beschwerte sich Fabio, und hielt ihr just eine Liste mit Psychologen unter die Nase. Sie stammte aus dem Sekretariat des Professors, mit dem er sich finanziell so ausgesprochen gut verstand.
„ Aber du willst doch eigentlich gar nicht, dass ich eine Therapie mache«, setzte Laura dagegen.
„ Du brauchst dem doch nichts sagen, erzähl halt irgendetwas und dann brichst du die Therapie bald ab, weil es dich nicht weiterbringt. Da wird uns schon was einfallen. Hauptsache, du fängst erst mal an.«
Laura starrte auf die Liste .„ Du lieber Gott, so eine Menge, wen nehme ich denn?«
„ Gleich den Ersten oben, ist doch sowieso egal.«
Durch den Kaiser-Karl-Ring schoben sich zur frühen Mittagszeit etliche Autos. Fabio fluchte, als es letztendlich zum Stau und damit zum Stillstand kam. Zehn Minuten standen sie auf der Stelle.
„ Wieso können die Leute in Deutschland nicht Auto fahren«, brummte er, als er beim Passieren der Unfallstelle aus den Augenwinkeln die beiden aufeinandergefahrenen Fahrzeuge mit einem verächtlichen Blick streifte.
„ Ich halt das nicht mehr lange aus«, jammerte Laura überraschend los.
„ Was?«, fragte Fabio unkonzentriert.
Laura begann zu weinen.
„ Hör auf zu heulen, ich kann das nicht haben, sei einmal erwachsen.«
Sie unterdrückte das aufkommende Schluchzen und warf ihm einen Seitenblick zu.
„ Wie lange sollen wir uns noch tyrannisieren lassen?«
Fabio hatte die Stirn gerunzelt. „Also, jetzt übertreibst du aber«, reagierte er barsch.
„ Du bist doch sonst nicht so nachsichtig«, wehrte sich Laura matt. Jetzt rede ich Quatsch, dachte sie, denn sie kannte ja den Grund, weswegen er so inaktiv war.
„ Du weißt, warum«, bemerkte Fabio in dem Augenblick.
Ja, dachte sie und spürte die Wut im Anflug. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien: Warum musstest du so brutal sein? Du und dein verdammter unbeherrschter Zorn. Aber sie schwieg. Nach einer Weile sagte Fabio, als hätte er ihre Gedanken gelesen, dass es ihm im Nachhinein auch leidtäte. „Klaus war unser bester Freund«, fuhr er fort, „und in einer Weise ist er es auch heute noch, auch wenn sich die Dinge geändert haben.«
Laura brummte etwas Unverständliches.
„ Wegen meines schlechten Gewissens ...«, setzte Fabio wieder an, „habe ich ihn doch mehr als gut entschädigt, oder siehst du das anders?« Er schien keine Antwort von ihr zu erwarten, denn er sprach gleich weiter. »Er hat doch, was er will, Geld, Macht, Luxus ... und das alles durch mich«, grinste Fabio sie an.
„ Ja«,
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