Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
dem Tischchen neben ihm erblickte Laura eine asiatische Teekanne mit einem eckigen Henkel und zwei dazu passende zierliche Tassen. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Für einige Momente konnte sie den Blick nicht von der wunderschönen, in verschieden roten Tönen gemusterten Kanne lassen. Er schien es zu bemerken, denn rasch fragte er:
„ Möchten Sie eine Tasse grünen Tee?«
„ Grünen Tee? Oh, nein danke.«
„ Schmeckt hervorragend und ist gesund.«
Laura bejahte das mit einem Nicken. Er nahm seine Tasse, trank ruhig einige Schlucke, hielt inne, als würde er überlegen, ehe er, noch das zierliche Trinkgefäß in der Hand, unvermittelt fragte:
„ Wie geht es Ihnen?«
Laura starrte ihn überrascht an.
„ Wie meinen Sie?«
„ Ich meine, wie fühlen Sie sich?«
„ Sie wissen doch, warum ich hier bin«, gab Laura ohne Absicht etwas unwirsch zurück und hoffte, dass die Fragerei nach ihrem Befinden damit erledigt sei.
Dr. Heinzgen nickte schwach.
„ Wenn Sie jetzt in sich hineinhorchen, was sagt Ihnen Ihre Seele, Ihr Körper, Ihr Gefühl?«, ließ der Therapeut nicht locker.
„ Ich bin angespannt und weiß nicht, was ich Ihnen erzählen soll.«
Und das stimmte aufs Wort. Sie musste einfach irgendetwas erfinden. Hatte sie nicht gestern noch auf seine Schweigepflicht vertraut? Mutlos sackten ihre Schultern herunter.
„ Nun, dass Sie nicht freiwillig hier sind, macht es schwerer für uns beide.«
Laura sah ihn beschämt an bei den Gedanken, ihn belügen zu müssen. Sie war sich nicht sicher, ob sie das durchziehen konnte.
„ Beginnen Sie einfach an irgendeiner Stelle Ihres Lebens«, forderte Dr. Heinzgen sie auf. „Natürlich nur, wenn Sie es möchten«, fügte er hinzu. Nach einer kurzen Pause: „Ich kann Sie nicht dazu zwingen. Wir können die Stunde auch in Schweigen verbringen, aber das würde Ihnen nicht weiter helfen.«
Laura überlegte. Die folgenden Schweigeminuten dehnten sich hin bis zu einer drückenden Stille. Dr. Wolf Heinzgen saß geduldig wie ein Lamm in seinem Sessel und wartete. Laura hatte es sich leichter vorgestellt, spürte, wie sie langsam über die Situation wütend wurde. Auf sich selbst, auf ihren Bruder, auf ihr Leben.
„ Ich hasse mein Leben«, sprang der Satz aus ihrem Mund, ehe sie sich versah. Sie hatte geglaubt, er würde etwas darauf äußern, aber nein, er blickte sie fortdauernd stumm an, wobei er sie keineswegs anstarrte. Es kam Laura vor, als lächelten seine Augen warm.
„ Seit dem Tod meiner Eltern ...«, sie hielt inne und senkte den Kopf. Wieder entstand eine Pause .„ Was ist seit dem Tod Ihrer Eltern?«
Wie ein hilfloses Kind fing Laura an zu weinen.
„ Entschuldigung, der Weinkrampf.«
„ Das häufige unkontrollierte Weinen, von dem sie berichteten, hängt mit dem Tod Ihrer Eltern zusammen, vermute ich.«
Laura schluchzte. Er war verdammt gut. Konnte sie ihm überhaupt etwas vormachen? Der Wille dazu schwand.
„ Was stimmt nicht?«, fragte Dr. Heinzgen in einem weichen Ton, der erneut ihre Tränen fließen ließ.
„ Es hat ein schreckliches Unglück in unserer Familie gegeben, aber ich darf nicht darüber reden«, klagte sie laut.
Erinnerungen, die sie nicht zulassen wollte, kämpften sich in ihr hoch. Sie liebte Fabio, ihren Bruder, aber sie hasste ihn auch gleichermaßen. Das all die Jahre unterdrückte Bild, wie kalt und ungerührt Fabio die Leiche entsorgt hatte, arbeitete sich in diesem Augenblick an die Oberfläche. Sie war noch klein gewesen, hatte zudem unter Schock gestanden, doch so manches Mal fürchtete sie ihren Bruder. Heute gehorchten ihm alle in der Familie. Laura wurde es schwer ums Herz. Und das jetzt, dachte sie, wo ich hier bei einem Therapeuten sitze. Sie durfte diese Dinge, die unbedingt heraus wollten, nicht sagen. Alles wäre damals normal weiter gelaufen, wäre da nicht dieser verdammte Klaus Nett gewesen, dieser kleine miese Pisser, dachte sie böse. Er hatte sie in der Hand. Sicherlich, Fabio hielt ihn nach dem unglücklichen Vorfall bei der Stange. Wie aber genau das zwischen den beiden ablief, wusste Laura nicht, nur soviel, dass auch Fabio ihm, sollte es nötig sein, ans Leder konnte. Beide hatten sich gegenseitig in der Hand. Nur war Laura nicht klar, wer wem mehr schaden konnte. Es muss nicht immer vorteilhaft sein, wenn ein ganzer Clan hinter einem steht, dachte Laura. Plötzlich, geistig wieder zurück im Therapiezimmer, bemerkte sie, wie Dr. Heinzgen sie die Zeit über mit einem Päckchen
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