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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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als einen schwachen Herrscher? Und was war mit Ngarau, der die so wichtigen Staatsfinanzen verwaltete?
    So viele Unwägbarkeiten!
    Ein warmer Windstoß trieb von irgendwoher Laub über seinen Weg. Conphas hielt einen Absatz unter seinem Onkel an und grüßte ihn.
    Ikurei Xerius III. blieb reglos wie eine bemalte Statue. Der runzlige Skeaös hingegen winkte ihn näher heran. Mit dröhnenden Ohren erklomm Conphas die letzten Stufen. Bilder von Soldaten in Aufruhr Schossen ihm durch den Kopf. Er dachte an seinen Prunkdolch und fragte sich, ob er geeignet wäre, Seide, Damast, Haut und Knochen zu durchstoßen.
    Durchaus.
    Dann stand er vor seinem Onkel, und Miene und Glieder wurden steif vor Trotz. Obwohl Skeaös Conphas mit unverhohlener Sorge musterte, tat Xerius, als merkte er nichts.
    »Welch großer Sieg, mein Neffe!«, rief er unvermittelt aus. »Keiner hat dem Haus Ikurei je so viel Ruhm gebracht wie du!«
    »Ihr seid zu liebenswürdig, Onkel«, antwortete Conphas ausdruckslos. Der Kaiser legte das Gesicht einen Moment in Falten. Sein Neffe hatte sich nicht hingekniet und ihm nicht das Knie geküsst.
    Ihre Blicke trafen sich, und Conphas war kurz überrascht. Er hatte vergessen, wie sehr Xerius seinem Vater ähnelte.
    Umso besser. Er würde ihm die Hand auf den Nacken legen, als wollte er ihm einen vertraulichen Kuss geben, und ihm dann das Messer durchs Brustbein bohren, das Heft herumreißen und ihm das Herz entzweischneiden. Der Anschlag würde schnell über die Bühne gehen und wäre bemerkenswert frei von Grausamkeit. Dann würde er nach seinen Männern dort unten rufen und ihnen befehlen, das Palastviertel unter Kontrolle zu bringen. Innerhalb weniger Herzschläge wäre das Reich sein.
    Er hob schon die Hand zum Kuss, doch sein Onkel winkte nur ab und drängte an ihm vorbei. Anscheinend hatte ihn weiter unten auf der Treppe etwas in Bann gezogen. »Und was ist das?«, rief er und meinte offensichtlich den Gefangenen.
    Conphas überflog mit raschem Blick die zwischen den Säulen versammelten Zuschauer und merkte, dass Gaenkelti und einige andere ihn argwöhnisch musterten. Er lächelte falsch, drehte sich um und trat neben den Kaiser. »Leider, Onkel, ist das der einzige Gefangene, den ich Euch präsentieren kann. Jeder weiß, dass die Scylvendi als Sklaven absolut ungeeignet sind.«
    »Und wer ist das?«
    Der Mann war auf die Knie gestoßen worden und beugte sich nun über seine unverhüllte Scham. Seine vernarbten Arme waren hinterm Rücken zusammengekettet. Einer der Leibwächter langte in die schwarze Mähne des Gefangenen und riss sein Gesicht zum Kaiser empor. Obwohl seine Miene ein schwaches Bewusstsein davon verriet, hier auf schlimme Weise gequält und verhöhnt zu werden, waren seine grauen Augen leer und auf Dinge jenseits der ihn umgebenden Welt gerichtet.
    »Das ist Xunnurit«, sagte Conphas, »ihr König der Stämme.«
    »Ich hatte gehört, er sei gefangen worden, habe aber nicht gewagt, diesen Gerüchten zu glauben! Conphas! Conphas – einen König der Stämme gefangen zu nehmen! Heute hast du unser Herrscherhaus unsterblich gemacht. Ich werde ihn blenden, entmannen und an den Fuß meines Throns ketten lassen – wie es die alten Könige von Kyraneas taten.«
    »Ausgezeichnete Idee, Onkel.« Conphas warf einen kurzen Seitenblick nach rechts und entdeckte endlich seine Großmutter. Sie trug ein grünes Seidenkleid mit enganliegender blauer Schärpe, die über Kreuz von den Schultern zur Taille verlief. Wie immer sah sie wie eine alte Hure aus, die die Kokette spielt. Doch etwas Eigenartiges lag in ihrer Miene. Irgendwie schien sie anders.
    »Conphas…«, keuchte sie, und ihre Augen waren groß vor Staunen. »Du hast uns als Thronfolger verlassen und bist als Gott zurückgekehrt!«
    Nach diesen Worten holten alle ringsum gleichzeitig Atem. Das war Verrat – oder wenigstens etwas, das der Kaiser gewiss als Verrat verstehen würde.
    »Ihr seid zu liebenswürdig, Großmutter«, antwortete Conphas hastig. »Ich kehre als bescheidener Sklave zurück, der nur getan hat, was sein Herr ihm befahl.«
    Aber eigentlich hat sie ja recht …
    Gerade hätte er beinahe seinen Onkel erstochen, und nun war er dabei, die taktlosen Bemerkungen seiner Großmutter zu kaschieren… Entschlossen bleiben! Nicht den Überblick verlieren!
    »Sicher, mein lieber Junge. Aber das war ja auch nicht wörtlich gemeint…« Auf merkwürdig obszöne Art – jedenfalls für jemanden in ihrem Alter – stolzierte sie an seine

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