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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Himmel und sah eine Möwe, von der er den unerklärlichen Eindruck gewann, sie schwebte im Herzen einer weit entfernten Gewitterwolke. Einen Augenblick streifte ihn das Gefühl tiefer Harmonie, und er vergaß das Geschwätz seiner Mutter und seines Neffen.
    Dann ging ein Ruck durch die Galeere, und sie kam zitternd zum Stehen. Xerius wäre beinahe über Bord gegangen und hatte sich nur mit knapper Not an der Bugreling festhalten können. Nun richtete er sich auf und musterte die wenigen Amtsträger, die mittschiffs beisammen standen, wütend nach dem Kapitän ab. Durchs Deck hörte er gedämpfte Schreie und Peitschenknallen. Bilder bestürmten ihn: Orte, an denen Menschen im Dunkeln zusammengepfercht waren; verfaulte, in großer Qual zusammengebissene Zähne; Schweiß und stechende Schmerzen.
    »Was ist passiert?«, hörte Xerius seine Mutter fragen.
    »Eine Sandbank«, sagte Conphas zur Erklärung. »Sieht aus, als würde die Reise noch länger dauern.« In seiner Stimme lag mühsam beherrschte Ungeduld. So etwas hätte er sich ein paar Monate zuvor nicht herauszunehmen gewagt, doch im Vergleich zu seinem Auftritt am Vortag war es harmlos.
    Kommandos drangen durch die Planken unter ihnen. Die Ruder wirbelten das Wasser ringsum auf, doch das Schiff bewegte sich nicht von der Stelle. Mit einer Miene, die schon jetzt um Gnade flehte, näherte sich der Kapitän und gestand, sie seien auf Grund gelaufen. Xerius kanzelte den Dummkopf ab und spürte dabei die ganze Zeit den prüfenden Blick Istriyas. Als er kurz zu ihr hinsah, bekam er den Eindruck, aus derart gerissenen Augen könne unmöglich eine Mutter ihren Sohn anschauen. Neben ihr lümmelte sich Conphas auf dem Diwan und grinste, als würde er einem abgekarteten Hahnenkampf zusehen.
    Xerius war von den musternden Blicken der beiden irritiert und bügelte die wehleidigen Erklärungen des Kapitäns kurzerhand ab. »Warum sollen die Ruderer ausbaden, was du angerichtet hast?«, donnerte er. Von dem kindischen Gestammel des Mannes angewidert, wandte er ihm den Rücken zu und befahl seinen Leibwächtern, ihn unter Deck zu schleppen. Das Geheul, in das der Kapitän daraufhin ausbrach, entfachte seine Wut nur noch mehr. Warum ertrugen so wenige, was sie sich eingebrockt hatten?
    »Dieses Urteil«, kommentierte seine Mutter trocken, »wäre des Letzten Propheten würdig gewesen.«
    »Wir warten hier«, raunzte Xerius, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden.
    Kurz darauf ließen Peitschenhiebe und Schreie nach, und die Ruder kamen zur Ruhe. Einen seltenen Moment lang war es an Deck völlig still. Entferntes Hundegebell drang übers Wasser, und am Südufer des Flusses jagten Kinder einander und duckten sich kreischend zwischen Pfefferbäumen. Doch da war noch ein Geräusch.
    »Hörst du sie?«, fragte Conphas.
    »Ja«, gab Istriya zurück und reckte den Hals, um flussaufwärts zu sehen.
    Auch Xerius hörte es: Übers Wasser drang ein leises Rufen aus vielen Kehlen. Blinzelnd spähte er in die Ferne, wo der Phayus sich zwischen dunklen Hängen hindurchschlängelte, und suchte nach einem sichtbaren Zeichen des Lastkahns, der sein neues Denkmal transportierte. Doch es war nichts zu entdecken.
    »Vielleicht«, flüsterte Skeaös ihm ins Ohr, »sollten wir das neueste Monument Eures Ruhms am Heck des Schiffs erwarten, gottgleicher Kaiser.«
    Xerius wollte seinen Obersten Berater schon dafür tadeln, ihn mit dummem Zeug unterbrochen zu haben, zögerte aber. »Sprich weiter«, murmelte er und betrachtete den Alten, dessen Gesicht ihn oft an einen verschrumpelten Apfel erinnerte, den zwei glänzende schwarze Augen wie Grübchen schmückten. Skeaös wirkte wie ein greises Kleinkind.
    »Von hier aus, gottgleicher Kaiser, wird Euer Denkmal nur allmählich sichtbar, was Eure Mutter und Euren Neffen dazu verleiten könnte…« Er hatte eine schmerzliche Miene.
    Xerius verzog das Gesicht und sah Istriya entsetzt an. »Niemand wagt es, den Kaiser zu verhöhnen, Skeaös.«
    »Natürlich nicht… ganz gewiss nicht. Doch wenn wir uns ans Heck stellten, wäre der Obelisk im Vorbeifahren einen herrlichen Moment lang in seiner ganzen Pracht zu sehen.«
    »Das ist mir doch längst klar…«
    »Natürlich.«
    Xerius wandte sich an die Kaiserin und den Oberbefehlshaber. »Komm, Mutter«, sagte er. »Gehen wir aus der Sonne. Schatten wird dich in besseres Licht rücken.«
    Istriya machte zu dieser Unverschämtheit ein finsteres Gesicht, schien im Übrigen aber deutlich erleichtert. Die Sonne stand

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