Schattenfall
sondern erst nachdem… die Biaxi-Fraktion ihm Gerüchte eingeimpft hatte.«
Martemus musterte Conphas kurz aus dem Augenwinkel. »Aber was Ihr erreicht habt, Herr Oberbefehlshaber…! Auf Euer Kommando würde jeder, wirklich jeder Soldat hier sein Leben für Euch geben.
Das weiß der Kaiser bestimmt. Und bestimmt ist das eine neue Gefahr!«
Conphas hatte gedacht, Martemus könnte ihn nicht überraschen, doch nun war er erstaunt über Implikationen und Schärfe seiner Antwort. Legte er ihm eine Rebellion nahe? Hier und jetzt?
Plötzlich sah er sich die Stufen zum Forum erklimmen, seinen Onkel grüßen, sich dann zu den Tausenden auf dem Campus Scuärius versammelten Soldaten umdrehen und sie anrufen und bitten… nein, er sah sich ihnen befehlen, das Forum und den Kaiserpalast zu stürmen. Und er sah den blutigen, grausam verstümmelten Leichnam seines Onkels vor sich.
Diese Vorstellung verschlug ihm den Atem. Konnte das eine Offenbarung gewesen sein? Ein Blick in die Zukunft? Sollte er…? Aber das war ja schreiender Unfug! Martemus durchschaute die größeren Zusammenhänge einfach nicht.
Trotzdem – die Truppen, die am Rand seines Gesichtsfelds auf die Knie fielen; die geölten Rücken der Diener vor ihm; sein Onkel, der wartete, als stünde er an einer verhängnisvoll steilen Stromschnelle: All das wirkte nun alptraumhaft. Plötzlich ärgerte er sich über Martemus und seine grundlosen Ängste. Das hier war sein Auftritt! Sein Moment des Triumphs!
»Und was ist mit dem Heiligen Krieg?«, stieß er hervor.
Martemus zog ein finsteres Gesicht, blickte aber weiter auf das immer näher rückende Forum. »Ich verstehe nicht, was Ihr meint.«
Von plötzlicher Ungeduld übermannt, blickte Conphas seinen General zornig an. Warum waren alle so begriffsstutzig? Ob die Götter sich so fühlten, wenn die Unfähigkeit der Menschen, die Tragweite ihrer Absichten zu begreifen, ihnen wieder einmal zusetzte? Erwartete er von seinen Gefolgsmännern zu viel? Die Götter taten das sicher.
Aber vielleicht ging es genau darum. Vielleicht war Überforderung der beste Weg, seine Leute zu Höchstleistungen anzuspornen.
»Haltet Ihr«, fuhr Martemus fort, »des Kaisers Habsucht für größer als seine Furcht? Glaubt Ihr, sein Ehrgeiz, das Reich zurückzugewinnen, überwiegt seine Angst vor Euch?«
Conphas lächelte. Gott war besänftigt. »Genau das glaube ich. Er braucht mich, Martemus.«
»Das ist ein gewagtes Spiel.«
Die Diener hatten die gewaltige Treppe zum Forum erreicht und wichen nun gebückt seitwärts zurück. Der Kaiser stand praktisch direkt oberhalb der Ankömmlinge.
»Und auf wen würdest du setzen, Martemus?«
Der General sah Conphas erstmals direkt an, und in seinen strahlenden braunen Augen lag eine ungewöhnliche Bewunderung. »Auf Euch, Herr Oberbefehlshaber. Und auf das Reich.«
Sie hatten am Fuß der riesigen Treppe haltgemacht. Nach einem durchdringenden Blick auf Martemus bedeutete Conphas seinen Leibwächtern mit einer Handbewegung, ihm mit dem Gefangenen zu folgen, und begann den Aufstieg. Sein Onkel erwartete ihn auf dem obersten Absatz. Neben ihm stand Skeaös, wie Conphas bemerkte. Dutzende weiterer Höflinge drängten sich zwischen den Säulen des Forums. Alle beobachteten die Szene mit ernster Miene.
Unverhofft kamen ihm die Worte seines Generals wieder in den Sinn:
»Auf Euer Kommando würde jeder Soldat hier sein Leben für Euch geben.«
Conphas war Soldat und glaubte deshalb an Drill, Verpflegung, Strategie, kurzum an Vorbereitung. Doch er besaß zudem – wie alle großen Heerführer – ein scharfes Auge für die Gunst der Stunde. Er wusste sehr gut, wie wichtig die Wahl des richtigen Zeitpunkts war. Was würde geschehen, wenn er jetzt zuschlüge? Genauer gesagt: Was würden all die, die hier versammelt waren, tun? Wie viele würden sich ihm anschließen?
»Auf Euch… Ich würde auf Euch setzen.«
Trotz seiner vielen Schwächen war sein Onkel ein gewitzter Menschenkenner. Es schien, als würde dieser Narr intuitiv alle gegeneinander ausspielen und so im Gleichgewicht halten und als wüsste er genau, wann er zuschlagen, wann beruhigen musste. Plötzlich begriff Conphas, dass er keinen Schimmer hatte, wie sich viele der wichtigsten Amtsträger des Reichs entscheiden würden. Gaenkelti, der Hauptmann der Kaiserlichen Garde, würde seinem Herrn sicher beispringen und notfalls für ihn sterben. Aber Cememketri? Hätte der Hochmeister der Kaiserlichen Ordensleute lieber einen starken
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