Schattenfall
Lieder, die dauernden Schmeicheleien waren dann vergeblich. Wie du schon gesagt hast: Man kann die Götter nicht bestechen.«
»Man nicht, aber du, was?«
Xerius lachte. »Ich schon, natürlich. Wenn Maithanet den Hohen Herren befiehlt, meinen Vertrag zu unterschreiben und zu schwören, dem Kaiserreich alle alten Provinzen zurückzugeben, dann gebe ich ihnen…« – er wandte sich an seinen Neffen und senkte den Kopf – »… den Löwen vom Kiyuth.«
»Fantastisch!«, rief Conphas. »Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Zuckerbrot und Peitsche! Großartig, Onkel! Wir werden uns des Heiligen Kriegs bemächtigen, und das Reich wird in altem Glanz wiedererstehen!«
Die Kaiserin musterte ihre Nachkommen skeptisch.
»Was meinst du dazu, Mutter?«
Doch Istriyas Blick war zum Obersten Berater gewandert. »Du bist furchtbar still gewesen, Skeaös.«
»Es steht mir nicht zu, mich dazu zu äußern, Kaiserin.«
»Nein? Dabei stammt dieser verrückte Plan doch von dir, oder?«
»Er stammt von mir, Mutter«, grollte Xerius ärgerlich. »Der runzlige Wicht hat wochenlang versucht, ihn mir auszureden.« Schon als er diese Worte sprach, war ihm klar, dass er einen Schnitzer gemacht hatte.
»Ach? Und warum, Skeaös? So sehr ich dich und deinen übermäßigen Einfluss auf meinen Sohn auch verabscheue – deine Überlegungen habe ich stets für klug und vernünftig gehalten. Welche Einsichten hast du loszuwerden?«
Skeaös blickte sie hilflos an und schwieg.
»Du fürchtest um dein Leben, nicht wahr?«, fragte Istriya sanft.
»Das solltest du auch. Die Urteile meines Sohns sind streng und widersprechen sich ständig. Aber ich habe keine Angst, Skeaös. Alte Frauen haben sich weit mehr mit dem Tod abgefunden als alte Männer. Indem wir Leben zur Welt bringen, lernen wir, uns als Schuldner des Todes zu begreifen. Unsere Zeit ist uns nur auf Widerruf gestundet.« Sie wandte sich an ihren Sohn. Auf ihren Lippen lag ein Raubtierlächeln. »Womit wir beim springenden Punkt wären. Nach dem, was Conphas sagt, Xerius, gibst du den Fanim nichts oder nur sehr wenig, indem du ihnen die erste Hälfte der Heiligen Krieger ans Messer lieferst.«
Xerius unterdrückte seine Wut und antwortete: »Hunderttausend Mann sind sicher mehr als nur ›wenig‹, Mutter.«
»Aber ich spreche vom praktischen Nutzen des Ganzen, Xerius! Conphas sagt, diese Männer seien Abschaum und eher eine Last als ein Vorteil. Das weiß zweifellos auch Skauras, und darum frage ich dich, mein lieber, guter Sohn, was er als Gegenleistung verlangt hat. Ich weiß, was du bekommst – jetzt verrate mir bitte, was du dafür gegeben hast.«
Xerius musterte sie nachdenklich. Erinnerungen an sein Treffen mit dem Cishaurim Mallahet und an die obskuren Verhandlungen mit Skauras schossen ihm durch den Kopf. Wie kalt ihm jene Sommernacht nun schien! Kalt und höllisch…
Das Kaiserreich wird wiederhergestellt… Um jeden Preis.
»Ich mach es dir mal einfach, ja?«, fuhr Istriya fort. »Verrat mir nur, wo die Linie verläuft, Xerius. Sag mir, wo die zweite, die nützliche Hälfte derer, die in den Heiligen Krieg ziehen, zu Fall kommen wird.«
Xerius und Conphas blickten einander lange in die Augen. Der Kaiser sah das verhasste, wissende Lächeln seines Gegenübers, ein Lächeln, das sich nirgendwo in seiner Miene zeigte, nur in den Augen. Von dort spürte er Zustimmung. Was bedeutete schon Shimeh – verglichen mit dem Reich? Was bedeutete Glaube – verglichen mit imperialer Macht? Conphas hatte sich auf die Seite des Kaiserreichs gestellt – und damit auf seine Seite. Plötzlich lag die Demütigung seiner Mutter fast greifbar in der Luft. Herrlich war das!
»So ist Krieg nun mal, Mutter. Wie beim Glücksspiel kann niemand sagen, welchen Triumph – oder welche Katastrophe – die Zukunft bringt.«
Istriya musterte Xerius lange. Unter ihrer dick aufgetragenen Schminke lag eine beunruhigend ausdruckslose Miene.
»Shimeh«, sagte sie schließlich mit lebloser Stimme. »Der Heilige Krieg muss versanden, ehe er Shimeh erreicht.«
Xerius lächelte, zuckte die Achseln und wandte sich wieder zum Fluss. Inzwischen drangen die Rufe der Ruderer laut zum Himmel, und die erste Schleppgaleere glitt vorbei. An langen Hanftauen zog sie einen schwerfälligen Lastkahn von solchen Ausmaßen, dass er den in der Sonne schillernden Fluss tiefer in sein Bett zu drücken schien. Xerius sah das schwarze, von einem Holzgerüst gestützte Denkmal, das liegend nur knapp durch die
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