Schattenfall
Xerius?«
Inzwischen waren die Rufe, die sie zuvor gehört hatten, näher gekommen. Xerius stand auf, trat steuerbords ans Geländer, beugte sich vor und sah die erste Schleppgaleere langsam um die Biegung des Flusses kommen. Die Bewegungen der Rudersklaven wirkten wie die eines Tausendfüßlers. Eingeölte Männerrücken blitzten in der Sonne.
Gleich…
Er drehte sich zu Mutter und Neffe um und warf dann einen kurzen Blick auf Skeaös, der steif dastand, als sei er versehentlich in ihre Gesellschaft eingedrungen. »Das Reich will zurück, was es verloren hat«, sagte Xerius matt. »Nicht mehr und nicht weniger. Und es wird alles opfern – auch einen Heiligen Krieg –, um zu bekommen, was es will.« Leicht gesagt! Jetzt musste die Welt sich nur noch diesen Worten beugen…
»Du bist tatsächlich verrückt!«, rief Istriya. »Du schickst also die zuerst angekommenen Ausländer in den sicheren Tod und halbierst die Kampfkraft derer, die in den Heiligen Krieg ziehen, nur um dem dreimal verfluchten Skauras zu zeigen, dass du kein religiöser Fanatiker bist? Du vergeudest dein Glück, Xerius, und forderst den ewigen Zorn der Götter heraus!«
Die Heftigkeit ihrer Reaktion erschreckte ihn, doch es war ziemlich unwichtig, was sie von seinen Plänen hielt: Er brauchte Conphas – und den beobachtete er.
Nach kurzer, ernsthafter Überlegung nickte sein Neffe langsam. »Verstehe.«
»Hältst du das etwa für vernünftig?«, geiferte Istriya.
Conphas warf Xerius einen prüfenden Blick zu. »Überleg doch mal, Großmutter. Demnächst treffen hier viel mehr Männer ein als sich bisher vor unserer Stadt gesammelt haben – darunter wirklich wichtige Leute wie Saubon, Proyas und sogar Chepheramunni, der regierende König von Ainon! Wichtiger noch: Es scheint, als seien Leute aus der Unterschicht Maithanets Aufruf zum Krieg als Erste gefolgt – schlecht vorbereitete Männer, die von Ressentiments umgetrieben werden, statt mit kaltem Verstand in die Schlacht zu ziehen. Diesen Pöbel loszuwerden, wäre für uns in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: Wir hätten weniger Mäuler zu stopfen, besäßen ein disziplinierteres Heer…« – er unterbrach sich und warf Xerius einen Blick zu, in dem so viel verwundertes Staunen lag, dass es fast bewundernd wirkte – »… und so ein Feldzug würde den Tempelvorsteher und seine Gefolgschaft lehren, die Fanim zu fürchten. Ihre Abhängigkeit von uns, die wir die Heiden bereits respektieren – diese Abhängigkeit würde mit ihrer Furcht wachsen.«
»Das ist doch blanker Wahnsinn!«, polterte Istriya, die sich vom Überlaufen ihres Enkels auf Xerius’ Seite nicht beirren ließ. »Sollen wir etwa gegen die Kianene zu den Bedingungen eines Geheimvertrags kämpfen? Warum sollten wir ihnen etwas geben? Ausgerechnet jetzt, da wir diesen verhassten Gegnern endlich das Rückgrat brechen können? Jetzt willst du mit ihnen verhandeln und sagen: ›Ich hack hier was ab und da, aber mehr nicht‹? Das ist doch verrückt!«
»Aber können ›wir‹ die Kianene wirklich packen, Großmutter?«, gab Conphas zurück, und seine Stimme war nun bar allen kindlichen Respekts. »Überleg doch mal – wer ist dieses ›wir‹ eigentlich? Sicher nicht das Haus Ikurei. Mit ›wir‹ sind die Tausend Tempel gemeint. Es ist Maithanet – schon vergessen? –, der mit dem Vorschlaghammer loszieht. Wir sind bloß damit beschäftigt, uns hinterher Trümmer in die Taschen zu stopfen. Maithanet bringt uns an den Bettelstab, Großmutter! Bis jetzt hat er alles in seiner Macht Stehende getan, unsere Gestaltungsfreiheit einzuschränken. Darum hat er auch die Scharlachspitzen eingeladen! Um den Preis nicht zahlen zu müssen, den wir für den Einsatz der Kaiserlichen Ordensleute verlangt hätten.«
»Erklär so was kleinen Kindern, aber verschon mich damit, Conphas. Noch bin ich keine Tattergreisin, der man alles erzählen kann.« Sie warf Xerius, dem das Vergnügen zu deutlich im Gesicht gestanden haben musste, einen vernichtenden Blick zu. »Und wenn Calmemunis, Tharschilka und zigtausend andere gefallen sind? Wenn die Herde erlegt ist, was dann, Xerius?«
Der Kaiser konnte nicht umhin zu lächeln. Was für ein Plan! Selbst der große Ikurei Conphas war beeindruckt! Und Maithanet… Beim Gedanken an ihn hätte Xerius am liebsten wie ein Schwachsinniger losgelacht.
»Und dann, Mutter? Das wird unseren Tempelvorsteher Furcht lehren. Und Respekt. Sein ganzer Mummenschanz – all die Opfer, die ewigen religiösen
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