Schattenfall
dieser ersten Tat. Es schien, als wäre der Plan seines Onkels in seinen Dimensionen für ihn bisher zu abstrakt gewesen, um ihn wirklich zu verstehen. Ikurei Conphas hatte Ehrfurcht vor dem, was er und sein Onkel getan hatten.
… das Haus Ikurei ist erhört worden.
Ein ganzes Heer zu opfern – nur Götter wagten solche Taten.
Wir sind erhört worden.
Conphas begriff, dass viele argwöhnen würden, das Haus Ikurei stecke hinter dieser Katastrophe, doch niemand würde etwas Genaues wissen. Dann breitete sich ein merkwürdiger Stolz in ihm aus, ein heimlicher Stolz, der von den Erwartungen anderer abgekoppelt war. In den Annalen der großen Ereignisse würde es viele Berichte über diesen ersten tragischen Höhepunkt des Heiligen Kriegs geben. Die Verantwortung für die Katastrophe würde Calmemunis und den beiden anderen Hohen Herren angelastet werden. Im Stammbaum ihrer Nachkommen würden sie Chiffren für Schande und Verachtung sein.
Ikurei Conphas würde nicht erwähnt werden.
Einen Moment lang empfand Conphas sich als Dieb und heimlichen Drahtzieher eines großen Verlusts. Dieses Hochgefühl war von beinahe sexueller Intensität. Jetzt sah er deutlich, warum er diese Art der Kriegführung so schätzte. Auf dem Schlachtfeld war jede seiner Handlungen den kritischen Blicken anderer ausgesetzt. Hier dagegen war er der Kontrolle entzogen und spielte von einem Ort aus Schicksal, der jenseits von Anklage und Urteil lag. Er waltete heimlich im Schoß der Ereignisse.
Wie ein Gott.
Teil III
Die Hure
9. Kapitel
SUMNA
Der König der Nichtmenschen sprach: »Jetzt müsst ihr mir alle beichten, denn über euch schwebt der Tod!« Da sagte der Bote, stets wachsam: »Aus Fleisch und Blut sind wir gemacht und kennen das Begehren.«
Ballade von den Inchoroi (altes Volkslied der Kûniüri)
SUMNA, SPÄTHERBST 4110
»Kommst du nächste Woche?«, fragte Esmenet und sah zu, wie Psammatus wieder in seinen weißen Seidenkittel schlüpfte. Sie saß nackt auf ihrem Bett und hatte sich ein Laken über die Knie gezogen.
Psammatus hielt inne, strich geistesabwesend seinen Kittel glatt und sah sie dann mitleidig an. »Ich fürchte, das war mein letzter Besuch, Esmi.«
Sie nickte. »Du hast eine andere gefunden, eine Jüngere.«
»Tut mir leid, Esmi.«
»Du brauchst mich nicht zu bedauern. Huren sind nicht so dumm, wie Weibchen zu schmollen.«
Psammatus lächelte, schwieg aber. Esmenet beobachtete, wie er sein Gewand und die prächtige gold-weiße Robe anzog. Es lag etwas Rührendes und Ehrfürchtiges darin, und er hielt sogar inne, um die goldenen Stoßzähne zu küssen, die auf die wallenden Ärmel gestickt waren. Sie würde Psammatus vermissen – sein langes silbernes Haar und sein väterliches Gesicht, sogar seine Sanftheit im Bett. Ich bin dabei, eine alte Hure zu werden, dachte sie. Ein Grund mehr für Akka, mich zu verlassen.
Inrau war tot, und Achamian war als gebrochener Mann aus Sumna abgereist. Nach all den Monaten stockte ihr bei der Erinnerung an seinen Abschied noch immer der Atem. Sie hatte ihn inständig gebeten, sie mitzunehmen, hatte schließlich sogar geweint und war auf die Knie gefallen: »Bitte, Akka! Ich brauche dich!« Doch das war gelogen, und sein verblüffter und verärgerter Blick hatte ihr gezeigt, dass auch er das wusste. Sie war eine Hure, und Huren verhärten sich gegen Männer – gegen alle Männer –, weil es schlicht nötig ist. So sehr sie den Verlust Achamians auch fürchtete: Noch mehr Angst hatte sie davor, wieder in ihr altes Leben zurückzukehren, zu der immer gleichen Abfolge von Geilheit, aggressiv schmachtenden Blicken und stöhnendem Abspritzen. Sie wollte mehr über die Orden erfahren! Hinter die Kulissen der Großen Gruppen sehen! Zwar wollte sie Achamian – noch mehr aber wollte sie an seinem Leben teilhaben.
Es war von atemberaubender Ironie, dass sie – so sehr sie das neue, durch Achamian vermittelte Leben auch genoss – ihr altes Dasein nicht hatte aufgeben können. »Du behauptest, dass du mich liebst«, hatte Achamian gerufen, »und empfängst dennoch weiter Kunden. Warum, Esmi – warum?«
Weil ich wusste, dass du mich verlassen würdest. Ihr alle verlasst mich… alle, die ich liebe.
»Esmi«, sagte Psammatus, »Esmi, bitte weine nicht, meine Süße. Ich komme nächste Woche wieder. Versprochen.«
Sie schüttelte den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen und schwieg.
Wegen eines Mannes zu weinen? So
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